Späte Liebe in der Todeszone - Adolf Muschgs "Heimkehr nach Fukushima"

Er ist nicht mehr der Jüngste, der Architekt und Schriftsteller Paul Neuhaus. Hat es sich gut eingerichtet in seiner Pendel-Beziehung mit der Wissenschaftlerin Susanne, gutem Essen und Literatur – Adalbert Stifter und das Thema “Nachkommenschaften” hat es dem Mann, der als reicher Jüngling grau geworden ist, besonders angetan.

Unverhofft kommt in seine Idylle eine Einladung in die atomar verstrahlte Zone Fukushima: Der Manga-Künstler Ken, den Paul und Susanne vor Jahren bei einem Japan-Besuch kennengelernt haben, lädt das Paar ein. Der Onkel seiner Frau Mitsu, so schreibt er, wolle sein Heimatdorf in der “Zone” wieder besiedeln. Die Menschen seien da noch skeptisch, gerade Familien mit Kindern. Eine von Paul zu gründende Künstlerkolonie, nach dem Vorbild von Worpswede, soll Abhilfe schaffen, Touristen anlocken und vor allem die langersehnte Normalität zurück bringen. Schließlich melden sich Künstler eher nicht zum Selbstmordkommando, ihre Anwesenheit soll symbolisieren: Es lebt sich wieder sicher zumindest in Teilen der Zone von Fukushima.

Paul reist alleine, und auch Ken lässt sich entschuldigen. Statt zweier Paare sind es Paul und Mitsu als seine Dolmetscherin, die in die Zone aufbrechen. Gemeinsames Sinnieren über Literatur, über Ästhetik und die Lebensspuren in der verstrahlen Region bringen das ungleiche Paar einander Nähe. Ausgerechnet in der Todeszone, mit dem Takt des Geigerzählers, entwickelt sich eine späte Liebe zwischen dem alten Schriftsteller und der sehr viel jüngeren Japanerin, die sich erst sehr viel später als eine planvoll strategierende Frau erweist.

Detailreich ist dieser Roman, da wird Bento-Häppchen und japanischer Einrichtung mehr Platz eingeräumt, als manchmal zur Handlungsentwicklung nötig ist. Nicht “lost in translation”, sondern einander und der Kultur des anderen zugewandt, kommen sich Paul und Mitsu näher. Es ist eine Liebe im Augenblick, wie auch jeder Moment in der Zone zwischen festgefrorener Zeit und gleichsam permanent unsichtbarer Todesgefahr zu verlaufen scheint.

Die Schilderungen der verstrahlten Region zwischen scheinbarer Normalität, landschaftlicher Schönheit und den die Idylle zerstörenden Veränderungen sind eindrucksvoll. Auch die kulturellen Unterschiede zum Umgang mit der Kathastrophe werden herausgearbeitet. Selbst Endzeitstimmung hat hier Zen-Charakter.


Adolf Muschg, Heimkehr nach Fukushima
CH Beck Verlag 2018, 
244 Seiten, 22 Euro
ISBN  9783406727023

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