Schrecken und Trauma - Dan Chaons "Der Wille zum Bösen"

#Thriller #Psychologisch #USA


Ein blutiges Familiendrama, ein Serienmörder, Drogensucht und Verlust: Schicksalsgebeutelt sind die Charaktere in «Der Wille zum Bösen». Dunkle Seiten haben sie fast alle.

Eigentlich sind sie allesamt höchst bedauernswerte Verlierer, die Protagonisten von Dan Chaons Thriller «Der Wille zum Bösen». Die Stärke des amerikanischen Autors liegt daher auf dem subtilen Schrecken, dem Zerfall von Persönlichkeit, der zersplitterten Wahrnehmung, die neue Realitäten schafft.

Das wird ganz besonders deutlich an Dustin Tillman. Der Psychologe steht im Mittelpunkt des 600 Seiten Romans und hat eine besonders dicke Ladung Schicksalsschläge abbekommen: Als er 13 Jahre alt war, wurden seine Eltern ermordet, ebenso sein Onkel und seine Tante. Seine Frau ist gerade an Krebs gestorben, sein jüngerer Sohn driftet in die Heroinsucht ab, ohne dass es der Mittvierziger wirklich bemerkt.Und dann wurde er als Kind auch noch von seinem Stiefbruder missbaucht.

Nun stellt sich heraus, dass dieser Adoptivbruder Rusty, der 30 Jahre lang aufgrund von Tillmans Aussage für den Mord an den Eltern im Gefängnis saß, ein freier Mann ist. Anwälte des Innocence-Projekts konnten mit Hilfe einer DNA-Analyse seine Unschuld beweisen.

Doch welches Motiv hat Rusty, den Kontakt zu Dustins labilem, drogenabhängigen Sohn aufzunehmen? Warum hat Dustin den älteren Bruder beschuldigt? Hatte Rusty etwas mit dem Tod seiner früheren Pflegefamilie zu tun? Kann Dustin seinen Erinnerungen, seiner Wahrnehmung trauen?

Schon allein die Altlast der Vergangenheit, die komplizierte Familienstruktur und die Spannungen zwischen den Generationen würden für ein Buch mit hoher psychologischer Spannung schon reichen.
Doch Chaon bringt auch noch einen labilen Patienten Tillmans ins Spiel, der sich als beurlaubter Polizist vorstellt. Ein Mann, der sich in Hirngespinste von Verschwörungstheorien verfangen hat oder einer, der tatsächlich auf die Spur eines Serienmörders gestoßen ist?

Zunächst gegen seinen Willen schließt sich Tillman den „Ermittlungen“ an und verliert dabei immer mehr den Blick für die Realitäten der eigenen Familie.

Aus wechselnden Perspektiven beschreibt Chaon den Zerfall einer Familie wie auch den Zerfall von Persönlichkeiten. Denn Tillman weiß nicht länger, ob er seinen Erinnerungen noch trauen kann. Was ist wahre Erinnerung, wo war womöglich Manipulation im Spiel? Da passt es, das dem zunehmend ratlosem Psychologen plötzlich die Worte fehlen, dass andere seine Sätze für ihn vollenden.

Auch in der optischen Gestaltung des Buches wird das deutlich: Gleich mehrfach wird der Fließtext in Spalten aufgebrochen, in denen die Handlung gewissermaßen auf zwei oder drei Ebenen weiterläuft. Da driften die Erzählfäden ebenso auseinander wie die Persönlichkeiten, die auf der Jagd nach ihren inneren Dämonen der Frage ausgesetzt sind, ob auch sie womöglich Schuld tragen.
«Der Wille zum Bösen» ist eine komplizierte, schwierige Familiengeschichte voller Drama und Dunkelheit, in dem die Wahrheitssuche zu Verunsicherung und Zweifel führt – und für einige tödlich endet.

 Dan Chaon, Der Wille zum Bösen
Heyne-Verlag, München 2018
ca 620 Seiten, 14,99 Euro
ISBN: 978-3-453-43916-0

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