Fremdland - ein spannender Polizeikrimi mit ein paar Schwächen

Rassismus bei der Polizei, falsch verstandene Loyalität gegenüber Kollegen, die Aussichtslosigkeit von Flüchtlingen, anders als mit illegalen Methoden ihren Lebensunterhalt zu verdienen - “Fremdland” von Philipp Reinartz befasst sich mit hochaktuellen Themen, kein Zweifel. Auf zwei Zeitebenen spielt der Krimi um den Berliner Mordermittler Jay – in der Gegenwart und in den 90-er Jahren. Der Tod zweier Polizisten auf einem verlassenen Firmengelände, die wohl organisierten Drogenhändlern in die Falle gingen, beschäftigt Jay eigentlich zunächst nur im Zuge privater Verwicklungen und im Zusammenhang mit einem früheren Fall. Doch plötzlich tauchen Bezüge auf, die auch die Untersuchungen des Todes einer 97-Jährigen in einer Seniorenresidenz in ein neues Licht rücken.

“Wie eine Netflix-Serie zum Lesen” verspricht der Klappentext. Doch das ist dann doch ein wenig zu hoch gegriffen. Zwar ist es durchaus reizvoll, wie die Zeitebenen und die beiden Handlungsstricke unvermittelt ineinander verwoben werden. Die Bezüge zur D-Mark sind das erste, was beim Lesen darauf aufmerksam macht, dass die Geschichte des Senegalesen Mouhamadou, der mangels Arbeitsperspektiven zum Dealer wird, nicht in der Gegenwart spielt. Dass die Lage in der Cassamance längst nicht mehr so dramatisch ist wie vor 30 Jahren und Senegal bei der Ertwilung von Flüchtlingsschutz längst nicht mehr so hohe Priorität hat wie etwa Eritrea dürfte dem Durchschnittsleser jedenfalls nicht klar sein.

Für den Vergleich mit schneller Schnitttechnik im Film kommt Reinartz´Buch allerdings entschieden zu langsam in Gang und hängt viel zu sehr in der Vergangenheit des ersten Falls von Jay Schmitt fest. Das mag ja ganz unterhaltsam sein für Leser, die gerne “in Serie” einem Autor folgen. Wer aber wie ich zum ersten Mal mit einem solchen Folgeband zu tun hat, freut sich über ein Buch, das auch für sich steht.

Auch die langen Ausführungen zu Jays Privatleben – die komplizierte Beziehung zur Ex, die offenbar im ersten Band ihre Liebe zu Frauen entdeckt hat, aber als Analystin weiterhin gefragt ist, das komplizierte Verhältnis zum Vater, die Probleme mit sich selbst – das ist alles ein wenig überfrachtet und zerfasert den Erzählfluss. Andere Figuren, wie etwa Mariéme, die bei der Auflösung des Falls eine ganz besondere Rolle spielt, bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück oder sind, wie die Senegalesin Aissatou, ziemlich unglaubwürdig. Es ist ja schön und begrüßenswert, dass Reinartz hier eine starke afrikanische Frau zeichnen wollte. Aber mit der Realität von Geschlechterrollen und der Kultur im ländlichen Afrika stimmt das alles nicht überein. Insofern ein stellenweise hinter den Ambitionen zurückgebliebener, gleichwohl spannender und aktueller Kriminalroman.

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