"Allee unserer Träume" - Eine Architektin und die Stalinallee

Eigentlich eine interessante Idee: Aufbau und Aufbruch der Nachkriegszeit, geschildert nicht aus der Sicht einer "Trümmerfrau", sondern einer Frau, die zugleich Macherin ist. Und die nicht in der Bundesrepublik, sondern in der DDR den Neuanfang angeht. Ich war daher sehr gespannt auf "Allee der Träume" des Autorenduos Ulrike Gerold und Wolfram Hänel. Denn Ilse, die Hauptfigur dieses historischen Romans, ist Architektin, als Tochter eines Bauunternehmers trotz Scheidung der Eltern behütet und ziemlich privilegiert aufgewachsen. Also eigentlich nicht unbedingt der Typ, der sich nach 1945 für den sozialisitischen deutschen Staat entscheidet, sollte man meinen.

Genau hier ist auch schon die erste Ungereimtheit des Buches, denn es wird zwar angedeutet, dass Ilse wegen eines "braunen Flecks" in ihrer Vergangenheit im Zusammenhang mit einer kurzen Ehe in der DDR Angst haben muss, erkannt zu werden und deshalb unter dem Namen ihrer Schwester einen Entwurf für einen Architektenwettbewerb einreicht. Bei der Auswahlsitzung stößt sie dann auf einen einstigen Schwarm, der in der Zwischenzeit mit eben ihrer leichtlebigen Schwester verheiratet war. Die beiden lebten als Kommunisten in Moskau - noch eine Ungereimtheit, denn bis dahin war die Schwester in keinster Weise politisch beschrieben worden. Immerhin, da Marga tödlich verunglückte, kann Ilse nun mit dem Schein-Gatten die neue Identittät fortsetzen und gemeinsam nehmen sie das Werk Stalinallee in Angriff.

Auch bei einem auf eher leichte Unterhaltung zielenden Roman wäre ein bißchen mehr Logik oder wenigsten Erklärung für den Leser nicht schlecht gewesen.

Nicht unspannend ist das Konkurrenzgehabe und die Eitelkeit der Architektengruppe, in der sich Ilse als einzuge Frau behaupten muss. Als Bauleiterin bemerkt sie schnell, dass es auch im Arbeiter- und Bauernstaat ein Oben und ein Unten gibt und dass die Arbeiter, für die sie doch die neue Straße bauen will, unter immer höheren Normzwängen leiden. Die Herren aus der Architektengarde hingegen nehmen ihre Privilegien, ihre bessere Versorgung und dergleichen sehr schnell als selbstverständlich wahr.

Doch obwohl Ilse eine schwierige Freundschaft mit einer Brigademeisterin unterhält - sie sieht die Ungleichheit, sei bedauert sie, doch sie unternimmt letztlich nichts. Auch der Entschluss, nach dem 17. Juni 1953, nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstands, in den Westen zu gehen, stammt nicht von ihr, sondern von Kantinenkoch Paule, der schon lange in sie verliebt ist. Für eine moderne Heldin ist Ilse eine erstaunlich passive Frau.

In mehreren Zeitsprüngen wird die Geschichte über deutsch-deutsche Gegenwart erzählt, über Träume und Desillusionierung. Schnell und leicht lesbar, mit ein paar Brüchen und, wie oben erwähnt, nicht immer nachvollziehbarer Hauptfigur. Besser hätte mir gefallen, wenn Ilse mehr Tiefe bekommen hätte als hier der Fall war. Denn der Stoff für mehr Reflektion ist ja durchaus vorhanden, So aber bleiben viele der Figuren leider ziemlich flach und ohne das Profil, das sie verdient hätten. Schade eigentlich.

Ulrike Gerold, Wolfram Hänel, Allee unserer Träume
Ullstein Verlag 2019
320 Seiten
ISBN-13 9783843717953

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