Aufklärung, Erklärung, Warnung - ein Buch "zur rechten Zeit"
Schön doppeldeutig
ist er, der Titel des Buches von Norbert Frei,Franka Maubach,
Christina Morina und Maik Tändler: Zur rechten Zeit. Ein Buch, das
gerade in die Zeit passt, in die neuen oder auch nicht so neuen
Debatten, was deutsch ist und wie sich die Deutschen definieren. Ein
Buch aber auch über den Rechtsruck in großen Teilen der
Gesellschaft, von Pegida und AfD, von Heimatbegriff und Relativierung
der Vergangenheit, von Ressentiments gegen Menschen, die als anders
empfunden werden und die Morde der NSU-Terrorgruppe.
Der Untertitel
“Wider die Rückkehr des Nationalismus” klingt erst einmal nach
Streitschrift, doch über weite Strecken hinweg wird erklärt,
aufgeklärt, zurückgeblickt und analysiert, wird verständlich
gemacht, woher das gar nicht so neue Denken derer kommt, die die
Geschichte des Dritten Reiches und der deutschen Verbrechen für
einen “Vogelschiss” halten. Dabei greifen die vier Historiker –
für mich ein besonderer Verdienst dieses Buches – weit zurück in
die Geschichte der beiden deutschen Staaten, ihren Umgang mit alten
Nazis und neuen Seilschaften, mit Aufarbeitung und
Schlussstrichdiskussion bis hin zu den Rechtspopulisten von heute und
Exzessen wie in Chemnitz.
Gerade für
diejenigen, die die Diskussionen in der Nachkriegszeit und in den
60-er Jahren erlebt haben, für die Jungen, die an die Zeit nach dem
Mauerfall keine eigenen Erinnerungen haben, ist dieser
Geschichtsunterricht wichtig. Denn die Parolen der Neuen Rechten von
heute kommen ja nicht aus dem Nirgendwo – und manche der Akteure
haben in der Szene eine lange Geschichte.
Von dem
unterschiedlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in Bundesrepublik
und DDR, wo auch trotz offiziellem Antifaschismus die passenden
Lehren ebenso lückenhaft gezogen wurden wie im Westen, vom Umgang
mit “Gastarbeitern” und der jahrelang betonten Haltung,
Deutschland sei kein Einwanderungsland bis zum Streit um Asylrecht
und die Gewalt gegen Migranten in den späten 80-ern und frühen
90-er Jahren legen die Autoren den Finger in Wunden, die viel zu
lange überschminkt wurden.
“Was sich in
Rostock-Lichtenhagen … ereignete, das waren nicht einfach
“Ausschreitungen”. Es war ein Pogrom, ein langes Wochenende der
Gewalt, eine rassistische Vertreibung mit Volksfestcharakter” ,
heißt es etwa. Von “Nachwendepogromen” und Vereinigungsrassismus
ist die Rede. Der Hass ist schließlich mal nicht so eben vom Himmel
gefallen. Und er ist nicht verschwunden. “Mit dieser Form einer
selbstermächtigten Gewalt kämpft die deutsche Gesellschaft bis
heute”, konstatieren die Autoren ernüchtert.
Dabei geht es nicht
nur um den Mob in Rostock. Dass es sich nicht um ein rein
ostdeutsches Problem handelt, oder ein Problem marginalisierter
Verlierer, machden die Autoren gerade mit Blick auf den bürgerlichen
Hintergrund führender AfD-Politiker oder Vertreter der Neuen Rechten
klar. Und – und das ist schließlich noch viel gravierender, wenn
es um Vertrauen in Polizei und Justiz geht, das jahrelange Versagen
bei der Aufklärumg derr NSU-Morde, die Unfähigkeit, “die Morde
der NSU als Teil eines massiven Komplexes rassistischer Gewalt seit
1990 zu erkennen”
Nein, der
Nationalismus reckte sein hässliches Haupt nicht erst seit 1989, er
hat eine Vorgeschichte. Aber das, was sich in den vergangenen Jahren
an neuer rechter Stimmung manifestiert hat, kann unmöglich ignoriert
werden. Wird dieses Buch dagegen helfen? Diejenigen, die es am
meisten betrifft, werden es schließlich vermutlich eher nicht lesen.
Ein Buch “zur rechten Zeit” ist es dennoch, ein Warnruf und
Appell, Augen und Ohren aufzusperren angesichts dessen, waas sich
gerade in Parlamenten und auf der Straße tut. Und weil ich noch zu
der Generation gehöre, die die ursprünglichen Leipziger
Montagsdemos vor Augen habe, spricht mir die Schlussfolgerung der
Autoren aus dem Herzen, dass nämlich die Instrumentalisierung des
Rufs “wir sind das Volk” eines der am meisten beunruhigenden
Phänomene der gesamtdeutschen Gegenwart sei. Sie ist zugleich, so
die Autoren, “der Schlüssel zum Verständnis des historisch
einzigartigen Vordringens der Neuen Rechten in die Mitte der
Gesellschaft.”
Norbert Frei,Franka Maubach,
Christina Morina und Maik Tändler, Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus
Ullstein, 2019
265 Seiten, 20 Euro
ISBN-13 9783550200151
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