Minderheiten-Erfahrungen und neuer Nationalismus - "Eure Heimat ist unser Albtraum"

"Eure Heimat ist unser Albtraum", eine Anthologie von 14 Autoren mit Migrationshintergrund, wie das heute so neudeutsch heißt, passt gerade in die Zeit, in die Debatten um #MeTwo und #VonHier, in das Unbehagen, während nicht nur im Osten Deutschlands wieder nationale Töne aufkommen und das Innenministerium zum "Heimatministerium" geworden ist. Denn was heißt eigentlich Heimat? Und wer bestimmt, wer dazugehört? Der Bundesinnen- pardon, Heimatminister hat den Islam ja bereits ausgebürgert Migration zur Mutter aller Probleme erklärt.

Dumm gelaufen also, wenn man Schwierigkeiten hat mit dem Heimatbegriff, wenn man schon mit dem Gefühl aufgewachsen ist, irgendwie anders zu sein. Zwischendurch gab es dann mal Multikulti-Utopien, statt Ausländer heißt es mittlerweile Migrationshintergrund, aber was ändert sich schon, wenn die Bemerkungen über den "komischen" Nachnamen kommen, die Frage, woher man denn wirklich käme oder die Kollegenanfrage zu einem Thema, wo gerade mal wer mit Migrationshintergrund mit dem passenden Know-how hat. Das verdeutlicht dann regelmäßig - sorry nee - aber du gehörst immer noch nicht richtig dazu.

Das Gefühl müssen auch die Autorinnen der Anthologie regelmäßig kennengelernt haben, vermutlich auch teils deutlich intensiver, denn ein osteuropäischer Nachname ist nun mal irgendwie unauffälliger als dunkle Hautfarbe oder das Kopftuch einer religiösen Muslima. Aus den Texten spricht denn auch viel Verletztheit, Selbstbehauptung, Abgrenzung, teilweise auch ganz schön viel Selbstgerechtigkeit. Wie leben in einer Gesellschaft und einem Land, dass sich gerade mit einem neuen Heimatbegriff definiert?  In dem versucht wird, Rechtspopulisten und -extremisten das Wasser gewissermaßen von rechts abzugraben? In dem es von manchem Unsäglichem heißt, das müsse man doch wohl sagen können?

Und die Antwort? Der Mehrheitsgesellschaft die eigene Wut ins Gesicht knallen, Verletzungen mit Verletzendem erwidern? Den Spiegel vorhalten, nach dem Motto, da seht ihr mal, wie das ist? Die Texte in "Eure Heimat  ist unser Albtraum" sind sehr unterschiedlich, von sensibel und reflektierend bis hin zu stürmischer Wut und Anklage. Da wird über Rassismus oder Vorurteile auch unter Minderheiten nachgedacht oder die biodeutsche Mehrheitsgesellschaft pauschalisiert.

Was ist eigentlich eine Annika, frage ich mich bei der Lektüre. Und "die Kartoffeln", wirklich? Ist das nicht ein bißchen kindisch, ebenso wie zu tun, als seien "die Deutschen" allesamt blond und blauäugig? Und was ist eigentlich mit jenen "Bindestrich-Deutschen" die einen biodeutschen und einen migrantischen Elternteil haben, sollen die sich jetzt von einem Teil ihres Selbst distanzieren? Wie gesagt, in einigen Texten steckt ein bißchen viel Selbstgerechtigkeit,


Und klar, dies ist ein höchst persönliches und subjektives Buch. Wie könnte es auch anders sein? Die ganze Heimatdebatte kann ja letztlich nur als Ausgrenzungsdebatte empfunden werden. Und dazu braucht es noch nicht einmal "ausländische" Wurzeln - ich habe schon Dörfer erlebt, in dene "Zugereiste" auch nach mehr als 20 Jahren nicht als "von hier" galten.

Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarrah (Hrdg), Eure Heimat ist unser Albtraum
Ullstein-Verlag, 2019
208 Seiten, 20 Euro
ISBN 13 9783961010363



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