Lauter Einzelfälle? - "Extreme Sicherheit"

Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke kamen schnell Stimmen auf, ob die Tat mit politischen Äußerungen des Politikers zur Aufnahme von Flüchtlingen in Zusammenhang stehe. Offiziell zumindest wurde abgebremt: Die Ermittlungen liefen in alle Richtungen, hieß es, zumindest laut öffentlichen Stellungnahmen wurde das private Umfeld abgetastet. Als dann schließlich ein Mann mit rechtsextremer Vergangenheit  als mutmaßlicher Tatverdächtiger festgenommen wurde, wurden Fragen nach rechtsextremen Netzwerken ebenfalls zunächst ins Reich der Spekulationen verwiesen. Die Informationen über die Ermittlungsfortschritte sind zwar nach wie vor spärlich, doch mittlerweile scheint immerhin bestätigt, dass der mutmaßliche Mörder zumindest Kontakte zu anderen gehabt hat.

Der - öffentliche - Umgang mit dem Fall Lübcke ist kein Einzelfall. Sicher,  Ermittler werden sich immer mit Informationen zurückhalten, schon mit Blick auf ein künftiges Strafverfahren und die Überführung von Tätern. Aber es kann schon stutzig machen, wie schnell immer wieder von lauter Einzeltätern die Rede ist, wie organisierte Netzwerke eher abgewiegelt werden. Gerade nach den Erfahrungen mit der NSU-Terrorserie bleibt da ein gewisses Unbehagen zurück, denn auch die Häufung der bisherigen Einzeltäter lässt aufhorchen, wenn es sich bei Tätern oder Tatverdächtigen mehrfach um ehemalige oder aktive Polizisten oder Bundeswehrangehörige handelt, wenn von Nazi-Devotionalien in Kasernenstuben und einem zumindest unkritischen Blick auf Wehrmacht-Traditionen die Rede ist.

Es dürfte dieses Unbehagen gewesen sein, dass auch Matthias Meisner oder Heike Kleffner bewog, ihr Buch "Extreme Sicherheit" herauszugeben. Es geht um Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz,  die meisten Autoren der Textsammlung sind Journalisten, die Fälle meist nicht unbekannt, hier aber noch einmal in den Kontext der Sicherheitsbehörden und zur AfD gestellt..

"Wer heute noch von Einzelfällen spricht, hat nichts verstanden, Der Staat verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn er bei rechtsextremen Beamten  nicht hart durchgreift und diese ohne Wenn und Aber vom Dienst entfernt. Jeder Bürger dieses Landes muss sich darauf verlassen können, dass er von der Polizei gleich geschützt wird. Wenn kein Vertrauen in die Polizei gegeben ist, dann tangiert das die Rechtssicherheit in diesem Land", schreibt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz in ihrem Vorwort.

Die Juristin weiß besser als die meisten, wovon sie schreibt: Im NSU-Prozess vertrat sie Hinterbliebene der Mordserie in der Nebenklage. Vor fast einem Jahr begann eine Reihe anonymer Morddrohungen gegen sie und ihre Familie, unterzeichnet mit "NSU 2.0".  Im Rahmen der Ermittlungen nach ihrer Anzeige stellte sich heraus, dass ihre Privatadresse über einen Computer in einem Polizeirevier abgefragt worden war. Bei den weiteren Untersuchungen stießen die Ermittler auf eine Chatgruppe innerhalb der Polizei mit rechtsextremen Inhalten.

Beamte und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben das Recht auf eine politische Meinung so wie jeder andere Bürger - die muss anderen nicht gefallen. Sie haben sich aber auch dem Dienst für die Verfassung verpflichtet - und das müsste politische Aktionen für Ziele, die im Widerspruch zu den Werten des Grundgesetzes stehen, ausschließen. Wenn Rechtsextreme dann auch noch, als Polizisten oder Soldaten, Zugang zu Waffen oder besonnderen Informationen haben, sind selbst Einzelfälle relevant. Querverbindungen hingegen sollten alarmieren.

Sind deutsche Institutionen auf dem rechten Auge blind, möglicherweise aufgrund der Biografie vieler Entscheidungsträger, die durch die Erfahrungen mit dem RAF-Terror zu Beginn ihres Berufslebens geprägt wurden? Verhindert falsch verstandene Kollegialität oder Korpgeist, dass rechtzeitig Alarmlampen angehen und Vorfälle gemeldet werden? Antworten darauf haben letztlich auch die Autoren von "Extreme Sicherheit" nicht. Wer sich mit dem Thema Rechtsextremismus schon länger beschäftigt, erfährt bei der Lektüre zwar nicht viel Neues, doch es geht in dem Buch einmal gebündelt um Rechtsextreme in Polizei, Bundeswehr, und Justiz wie auch um den Umgang der Vorgesetzten und Institutionen. Das sollte niemanden gleichgültig lassen.

Die Herausgeber des Buches erklären ausdrücklich, dass es ihnen nicht darum geht, "den Daumen zu senken" über Mitarbeiter von Polizei, Bundeswehr oder Justiz, sondern darum, eine Debatte anzustoßen. Vor allem aber wollen sie "denjenigen den Rücken stärken, die in ihren Polizeidiensttellen, Revieren, Bundeswehreinheiten und Verfassungsschutzabteilungen die Alarmglocken läuten und als Nestbeschmutzer gemobbt und an den Rand gedrängt werden."

Matthias Meisner, Heike Kleffner (Herausgeber)
Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz
Herder Verlag, 2019, 24 Euro
ISBN 978-3-451-38561-2

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