Zwischen Heimatlosigkeit und Generationskonflikt - "die guten Tage"

In seinem Roman "Die guten Tage" setzt sich Marko Dinic ähnlich wie Buchpreisträger Sasa Stanisic mit "Herkunft" mit der jungen Generation aus dem ehemaligen Jugoslawien und ihrer Neuankunkft im Ausland auseinander. Die Erfahrung von Migration, von Heimatlosigkeit, von Exil - das eint beide Schriftsteller und beide Bücher. Ebenso die Rolle der Großmütter, die die Erzähler gewissermaßen in der verlorenen beziehungsweise verlassenen Heimat verankern, auch emotional, und deren Tod ein Einschnitt ganz besonderer Art ist.

Es gibt aber auch ganz klare Unterschiede. Stanisic´s Ich-Erzähler hat seine bosnische Heimat als Kind verlassen, auf der Flucht vor dem Krieg, in dem auch die ethnische Zusammensetzung seiner Familie plötzlich gefährlich geworden war. Sein Buch handelt or allem vom Ankommen und den Erinnerungen  an das verlorene Land, das es nicht mehr gibt. Dinic´s Erzähler ist ein junger Serbe, in einem Vorort Belgrads geboren und aufgewachsen. Als er, von den Freunden wegen seiner guten Deutschkenntnisse als "Svabo" verspottet, nach dem Abitur nach Wien aufbricht, ist das auch ein Bruch mit dem Vater, einem Beamten.

Aus der Sicht des Erzählers ist der Mann, der sich vom Kommunisten und Tito-Anhänger zum serbischen Nationalisten wandelte ein Schreibtischtäter, die Onkel, innerlich und äußerlich versehrt aus  dem Krieg zurückgekommen, sind in seinen Augen Verbrecher. Mit diesem Vater, diesen Onkeln, der Indoktrination nationaler Größe, wollte er nichts mehr zu tun haben. Und schon ohne den Krieg wäre es eine harte, archaische Welt gewesen, in der die Männer den Ton angaben, mit Worten oder Fäusten schlugen und die Frauen schweigen und gehorchen mussten. Dass er aus dieser Welt ausbrechen kann, verdankt der Erzähler der geliebten Großmutter, die ihm finanziell den Neustart in Wien ermöglicht und die Chance, ein "normaler Mensch" zu werden.

Erst zu ihrer Beerdigung kehrt er zehn Jahre späte, eher widerwillig und an Bord eines "Gastarbeiterbusses" zurück nach Belgrad. Es ist das Jahr 2015, und während der Bus an der ungarischen Grenze steht, warten irgendwo im Dunkel der Nacht verzweifelte Menschen, eben diese Grenze in umgekehrter Richtung zu überqueren.. Dabei werden diejenigen, die im Bus sitzen, so beschrieben, als könnten auch Jahre in der Diaspora nicht das auslöschen, wovor der Erzähler aus Belgrad geradezu geflohen ist. Der Bus als Mikrokosmos männlichen Imponiergehabes, von Flüchen, Aggression und Alkohol - irgendwie gleicht er der Trostlosigkeit der Belgrader Vorstadt  mit kiffenden, trinkenden und perspektivlosen Jugendlichen, aus der der Erzähler einst zu entkommen versuchte.

Balkan-Folklore liegt diesem Buch fern. Dinic zeichnet das Bild einer wütenden, frustrierten Generation, die ihren Vätern nicht verzeihen kann, die eigentlich nur Niedergang erlebt. Düster, aber eindrucksvoll.

Marko Dinic, Die guten Tage,
Zsolnay-Verlag 2019
240 Seiten, 22 Euro
978-3-552-05911-5

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