Der Gesang der Fledermäuse - schicksalhafte Sterne und rächende Rehe

Dem Nobelpreis sei Dank - auch ältere Romane von Olga Tokarczuk erhalten eine deutsche Neuauflage. Im Fall des Romans "Gesang der Fledermäuse", der erstmals vor gut zehn Jahren auf Deutsch erschien, ist sogar ein Hörbuch erschienen. Ich war gespannt - denn Olga Tokarczuk poetische, bildbhafte Sprache ist zwar nicht nur ein Lese-, sondern auch ein Hörgenuss.  Aber auch, wenn der "Gesang der Fledermäuse" nicht die epische Gewalt der mehr als tausend Seiten umfassenden "Jakobsbücher" entfaltet - wer sich gewissermaßen nebenbei die CD einlegt, könnte leicht die sprachlichen Zwischentöne verpassen. Tokarczuks Sprache verdient Zeit und Konzentration. Ein freies Wochenende passte also perfekt für einen Hörbuch-Marathon mit dem gut achteinhalbstündigen, von Angelika Thomas gelesenen Roman.

Wer Freude an skurrilen, exzentrischen Charakteren hat, wird "Gesang der Fledermäuse" mögen. Angefangen von der Ich-Erzählerin Janina Duszejko, einer ehemaligen Lehrerin, die ihren ursprünglichen Beruf als  Bauingenieurin und Brückenbauerin aufgeben musste und auch sonst noch ein paar bemerkenswerte Talente hat. Mittlerweile ist sie auch als Lehrerin im Ruhestand, abgesehen von den Stunden, die sie in der nahen Kleinstadt an der örtlichen Grundschule gibt. Doch vor allem lebt sie in der Einsamkeit eines Hochplateaus an der polnisch-tschechischen Grenze, umgeben von Wald, wo sie im Winter kaum Nachbarn hat und die Ferienhäuser gutsituierter Breslauer hütet.

Die Einsamkeit ist  der alten Frau, die Tiere mehr schätzt als Menschen, ganz recht. Nur die Jäger, die auch in ihrer Nachbarschaft auf Pirsch gehen oder die nahegelegene Fuchsfarm ärgern sie gewaltig.  Die Hobby-Astrologin ist überzeugt vom Einfluss der Gestirne, stößt in ihrer Umgebung allerdings auf unverhohlene Skepsis. Der ruhige Alltag der Wintermonate wird druchbrochen durch die Entdeckung eines Toten - ein Nachbar Janinas, offenbar erstickt an dem Knochen eines gewilderten Rehs. Und dabei bleibt es nicht. Auch andere Todesfälle sorgen für Unruhe - und stets gibt es einen Bezug zum Wald und zur Jagd.

Janina hat einen ungeheuren Verdacht - ist das etwa die Rache der Tiere? Suchen sie ihre Peiniger heim? Verheißen nicht auch die Horoskope der Toten  ein solches Schicksal? Eifrig schreibt sie an die Polizei, doch ihre Theorien werden als die Spinnereien einer verrückten Exzentrikerin abgetan. Oder weiß Janina doch mehr als die Polizei?

"Gesang der Fledermäuse" ist unterhaltsam, gar kein Zweifel. Als skurriler Ökokrimi passt das Buch irgendwie auch in die Fridays for Future-Zeit, auch wenn es Janina mehr um den klassischen Naturschutz als um Klimarettung geht. Liebenswert-schrullige Charaktere und die Beschreibung einer Kleinstadt-Gesellschaft im Niemandsland, aber auch die philiosophischen Überlegungen zum Verhältnis von Mensch und Natur machen "Gesang der Fledermäuse" zu einem Lese- bzw. Hörvergnügen. Angelika Thomas gibt Janina Duszejko eine Stimme voller Wärme, unsentimentaler Betrachtung des eigenen, kränkelnden Selbsts  und leidenschaftlichen Engagements für ihre Ideen. Pani Janina ist eine ungewöhnliche Heldin eines ungewöhnlichen Buches. Alte Frauen sollten wirklich nicht unterschätzt werden.... 

Olga Tokarczuk, Gesang der Feldermäuse
Der Audio Verlag Gmbh, 2019
Laufzeit 8 h 40
ISBN - 978-3-7424-1553-0

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