Ein Lebensgesang auf archaischem Eiland - Miroloi

Eigentlich passt "Miroloi", der Debütroman von Karen Köhler, gut in die Zeit der #MeToo-Debatten und -Bücher. Schließlich geht es ja auch der Ich-Erzählerin um Freiheit, um Emanzipation, um das sich Herauslösen aus traditionellem Rollenverständnis.  Ein bißchen märchenhaft mutet das Buch an, geschrieben in Strophen, nicht in Kapiteln, ganz so wie einst die Lieder der Ilias. Und an Griechenland erinnert auch die Beschreibung der Insel, auf der die Erzählerin lebt, mit ihren Häusern in Weiß und Blau, mit den Olivenbäumen, den Hirten, den Frauen in Schwarz.

Doch zugleich ist es eine ganz und gar archaische Welt. Gäbe es nicht Flugzeuge, die ihre Kondensstreifen am Himmel hinterlassen, die Schiffe des Händlers, die moderne Errungenschauften auf die Insel brachten, die Debatten mit dem Regierungsbeamten über einen Stromanschluss - das Geschehen im  Dorf auf der Insel könnte auch in einer Jahrhunderte zurück liegenden Zeit spielen.

Die Erzählerin, als Findelkind vom Bethaus-Vater großgezogen, ist eine Außenseiterin in dieser Dorfgemeinschaft, in der jeder seinen Platz, seinen Stammesnamen, seinen Anker hat. Sie hat noch nicht einmal einen Namen. Aber sie stellt Fragen - erst sich, dann auch dem Bethausvater, ihrer mütterlichen Freundin, Fragen nach ihrer Herkunft, aber auch nach dem Sinn der strengen Regeln, der Trennung der Welt der Männer und der Frauen. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen - Männer dürften nicht singen oder kochen. Niemand darf die Insel verlassen, es gibt drakonische Strafen gegen Regelverstöße, selbst die Zahl der Kinder, die ein Paar haben darf, ist in dieser patriarchalisch-archaischen Gesellschaft reglementiert.

Das erinnert an "Den Report der Magd" oder "Die Zeuginnen", erinnert an "Vox", und auch die Erzählerin wagt das Aufbegehren, lernt lesen, findet eine verbotene Liebe. Doch der Weg zur eigenen Stärke gerät irgendwie allzu gefällig. Das Emanzipationslied ist schnell und leicht lesbar, lässt aber Tiefe und wirkliche Einsichten in die Frau vermissen, die sich selbst Alina nennt. Gegen alle Wahrscheinlichkeit hat sie schon immer reflektiert, durchlebt deshalb auch in ihren Strophen keine echte charakterliche Entwicklung, sondern erlernt nur neue Fähigkeiten. Die Gesellschaft um sie herum, die übrigen Dorfbewohner, bleiben merkwürdig vage und auch die Sprache wirkt mitunter schablonenhaft. Eigentlich schade, denn ich hätte mir eine überzeugendere Erzählung von Freiheitsstreben und Empowerment gewünscht.

Karen Köhler, Miroloi,
Hanser Verlag, 2019
464 Seiten, 24 Euro
 978-3-446-26171-6

Kommentare

  1. Hallo Eva,
    eine gelungene und interessante Rezension hast du hier geschrieben!
    Ich wollte das Buch unbedingt lesen, als ich es das erste Mal gesehen habe, da war die Longlist noch nicht einmal veröffentlicht. Mich das Cover und der Buchumschlag im Allgemeinen total angesprochen. Zum Glück, bin ich aber keine Leserin, die nach Cover kauft, denn je mehr Rezensionen ich zu dem Buch lese, desto mehr denke ich, dass ich irgendwie enttäuscht wäre mit dieser Lektüre. Schade drum.

    Liebe Grüße,
    Sandra

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    1. Liebe Sandra, auch ich fand das Cover total stimmig und ansprechend, gerade auch, nachdem ich den Klappentext gelesen habe. Ich fand und finde die Idee, die dem Buch zugrunde liegt, spannend und vielversprechend, die Umsetzung haperte dann aber leider. Wirklich schade. Gerade nachdem einer meiner letzten Romane Tokarczuk mit ihrer wirklich tollen Sprache war, lag die Latte bereits sehr hoch, aber auch ohne das vorangegangene Leseerlebnis wäre ich wohl nicht zu einer anderen Bewertung gekommen.

      LG Eva

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