Kupferberg - literarische Reportage über einen verschwundenen Ort

Mit  seinem Buch "Kupferberg" nimmt der polnische Journalist Filip Springer seine Leser mit auf eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert nach Niederschlesien, in einen Ort, der nur mehr Geschichte ist, nachdem er im 20. Jahrhundert neue Staatsgrenzen und eine ganz neue Bevölkerung erlebte. In der Tradition der literarischen Reportage zeichnet Springer ein Langzeitporträt des alten Kupferbergs, das nach 1945 zu Miedzianka wurde. Ganz folgerichtig wechseln auch die Bewohner, deren Schicksal er beschreibt - steht am Anfang die Geschichte einer deutschen Brauereibesitzerfamilie, von Apothekern und Pfarrern, seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Vordergrund, begleitet et nach 1945 die Menschen, die im damaligen polnischen Osten aufbrechen müssen in die unbekannte neue Heimat, wo die letzten verbliebenen Deutschen noch eine Weile unfreiwillige Nachbarn sind, bis auch sie gen Westen ziehen.

"Kupferberg" kommt ohne Pathos und Schuldzuweisungen aus, wird zur Entdeckungsreise nach den Gegenständen, die für die Geschichte des Ortes stehen und für Menschen aus zwei Nationen bedeutungsvoll geworden sind. Springer zeigt episodenartig eine kleine Welt, die zum Spielball großer Weltpolitik wurde. Er teilt den neugierigen, aufmerksamen Blick, den mittlerweile viele gerade der jüngeren Einwohner Schlesiens, Pommerns oder des ehemaligen Ostpreußens haben, für die die Geschichte ihrer Orte nicht 1945 mit einem neuen Namen und einer neuen Einwohnerschaft angefangen haben. Sie interessieren sich auch für das, was vorher war, für die Geschichte der Gegenstände, die ihre Großeltern einst vorfanden - und für die Menschen, mit denen sie einst verbunden waren.

Es ist ein ganz anderer Blick als einst zu den Zeiten des Kalten Kriegs, als gerade in den "wiedergewonnenen Gebieten" das Schreckgespenst des deutschen Revanchismus genutzt wurde, um politische Proteste und Unzufriedenheit klein zu halten. Springer reiht sich ein in die Tradition jener Lehrer, Amateurhistoriker und ganz einfach interessierter Menschen, die nicht länger an ein Provisorium ihres Lebens in einer Region glauben, in der einst Deutsche lebten - und die gerade deshalb einen offenen Blick für das Erbe entwickelt haben, das heute "poniemieckie" ist, aus deutscher Zeit.

Dabei beschönigt er nichts, etwa in der Beschreibung des Niedergangs und Verfalls des alten deutschen Friedhofs. Zugleich steht Kupferberg für die Verführbarkeit von  Menschen in totalitären Regimen, vom bequemen Schweigen der Mehrheit - ob beim Aufzug der Hitlerjugend vor dem Pfarrhaus in Kupferberg oder angesichts stalinistischer Sicherheitsdienste in Miedzianka. Kupferberg ist ein Buch, das polnischen Lesern von der Vergangenheit vieler Orte in der Region erzählt - und das deutschen Lesern beschreibt, wie die Geschichte weitergagangen ist ohne die Kupferberger Deutschen.

Filip Springer, Kupferberg. Der verschwundene Ort
Paul Zsolnay Verlag, 2019
ca. 330 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-552-05908-5

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Slow Horses im Schneegestöber - Mick Herron glänzt erneut

Kinderwunsch - aber koscher!

Das Leben kommt immer dazwischen