Flüchtlings- und Liebesgeschichte voller Poesie - "Exit West"

Die Heimatstadt von Saaed und Nadia könnte Kabul undte den Taliban sein, Somalia unter Al-Shabaab, Mossul unter dem IS oder Beirut während des Bürgerkriegs. Weder das Land noch die Stadt des jungen Paares in Mohsin Hamids Roman "Exit West" haben einen Namen, denn die Geschichte ist unversell. Und es sind auch nur die Namen und die Beschreibungen, die ein arabisch-islamisches Land nahe legen. Theoretisch könnten Saaed und Nadia überall auf der Welt leben, wo Krieg und Fundamentalismus die Freiheit und das Leben von Menschen einschränken.

Es ist eine geradezu schüchtern-zurückhaltende Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges, der so ungedeihlich für menschliche Nähe ist. Der ein wenig schüchterne Saaed, einziges Kind schon älterer Eltern, und die trotz ihres schwarzen Gewandes lebensfrohe und gar nicht religiöse Nadia kommen sich näher, während um sie herum die Welt in Gewalt versinkt. Auch Saaeds Mutter stirbt bei einer Bombenexplosion, eines der zivilen Zufallsopfer so vieler Konflikte. Immer intensiver sucht das Paar nach einem Ausweg, nach einer der Türen, die es geben soll, die den Menschen aus Ländern voller Armut und Krieg den Zugang zu einer besseren Welt in Europa öffnen.

Diese Türen, in Hamids Buch sind sie ganz wörtlich zu nehmen. Die mühsame, gefährliche Reise über das Meer oder durch die Wüste - hier findet sie nicht statt. Ähnlich wie in den Narnia-Büchern müssen die Migranten durch eine schwarze, aber gleichwohl wohlbewachte Tür schreiten und finden sich märchenhaft in einer anderen Welt wieder - sei es eine griechische Insel oder sei es London.

Poetische Beschreibungen wie in einem orientalischen Märchen und harsche Realität, wie wir sie aus den Bildern des Flüchtlingselends in Nachrichtensendungen kennen, liegen in diesem Buch nah beieinander. Die Welt ist zusammengerückt, durch die Türen, aber auch durch die vielen Minidrohnen, die den Menschenfluss beobachten, sortieren, verfolgen.

"Das Camp eerinnerte fast ein wenig an eine Handelsstation aus der Zeit des Goldrauschs", heißt es etwa. "es gab Familien, die die Zukunft im Blick hatten, und Banden junger Männer, die die Schwächsten im Blick hatten, und es gab rechtschaffene Leute und Betrüger und welche, die ihr Leben riskiert hatten, um ihre Kinder vor dem Untergang zu retten, und wieder andere, die wussten, wie man im Dunkeln jemanden erdrosselte, ohne dass er einen Ton von sichgab."

Hamid beschreibt einen Sommer, in dem es scheint, "als hätte sich der gesamte Planet in Bewegung gesetzt". Nadia und Saaed erfahren, wie schwer es ist, in der Fremde Fuß zu fassen, wie anstrengend das Zusammenleben auf engstem Raum mit Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen und Sprachen ist,, die alle irgendwie zu überleben versuchen und immer öfter Hass und Feindseligkeit begegnen. Die Beziehung der beiden wird auf eine harte Probe gestellt, und auch wenn die Liebe nicht überlebt, bleibt das Vertrauen zwischen zwei Menschen, die sich in einer Schicksalsgemeinschaft sehen.

Exit West ist ein Buch vom Weggehen und Ankommen, von Gewalt und von Liebe, von Verlust und Heimatsuche - nicht plakativ, sondern eher ein Buch der leisen Töne, voller Poesie und mit einem Hauch von Melancholie geschrieben. Ein Roman zu einem wichtigen Thema, der berührt.


Mohsin Hamid, Exit West
Dumont Verlag, 2017
224 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-8321-98668-8 

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