Warnung aus dem Weißen Haus - Abrechnung mit Trump

Wirklich überraschend kommt das Urteil des anonym bleibenden Autoren und Regierungsberater für politisch interessierte Leser nicht: Donald Trump sei unberechenbar, intellektuell eher schwach ausgeprägt, narzisstisch, ein typischer Bully und in seiner Rolle als Präsident nicht gerade qualifiziert. So what? frage ich mich bei dieser Schlussfolgerung, die eigentlich schon in Trumps Wahlkampf nahe lag. Seine Antrittsrede ließ dann bereits Schlimmes befürchten - und ist irgendeine der schon damals von vielen geäußerten Sorgen nicht eingetreten?

Der anonyme Autor ist da offenbar noch viel näher dran und kann weitaus mehr verfolgen, als die Weltöffentlichkeit, die angesichts präsidialer Tweets und eben eher unpräsidialer Auftritte nur staunen und ziemlich oft auch nur schaudern kann. Und: Anonymus ist Republikaner, stellt sich als patriotischen, konservativen Amerikaner dar, als einen, der versprochen hat, seinem Land und seinem Präsidenten zu dienen. Beides zusammen ist offenbar eine ziemliche Herausforderung.

Von einem "unkalkulierbaren Schaden", den Trump den USA zugefügt habe, spricht der Autor in dem Buch, das in deutscher Fassung nun im Wahljahr veröffentlicht wurde. Trump will erneut zum Kampf um das Weiße Haus antreten, und das ist für den anonymen Warner ein Schreckensszenario: "Vier weitere Jahre Trump könnten das Schiff zum Sinken bringen."

Vieles von dem, was der Autor beschreibt, haben wir alle in den vergangenen vier Jahren mitverfolgen könen - die Auftritte auf internationalen Gipfeln und Konferenzen, bei denen der US-Präsident auch schon mal andere Spitzenpolitiker beiseite drängelte, brüskierte oder per Twitter beleidigte und beschimpfte, Die Reaktionen auf Mass Shootings und die Vorfälle etwa in Charlottesville. Der seltsame Kuschelkurs mit Nodkorea, Saudi Arabien und Russland, während Beziehungen zu langjährigen Verbündeten auf harte Beziehungsproben gestellt wurden.

Man kann sich nur vorstellen, wie all das auf die Politikprofis in Washington wirken mag, die sich wie der Autor wohl schon länger im Zentrum der Macht bewegen und da noch ganz andere Einblicke haben. Schlimmer noch, die die undankbare Aufgabe haben, Schadensbegrenzung zu üben. Der Autor sieht sich als einen, der versucht zu retten, was zu retten ist. Der "stabile Staat", das seien jene erfahrenen Mitarbeiter und Berater, die die Regierungsgeschäfte auch dann noch am Laufen halten wollen, wenn der Präsident mit zweiseitigen Berichten zu hochkomplizierten Themen bereits überfordert ist, wenn er auch Sachverstand und Expertise pfeift und aus dem Bauch heraus entscheidet. Offen gestanden - etwa so habe ich mir das auch schon vorgestellt.

Der anscheinend klassisch gebildete Autor bringt die Staatslehre Ciceros und amerikanische Verfassungsrechtler, die Geschichte der Republikaner als "Grand Old Party" ins Spiel, um den Vergleich zum Ist-Zustand unter Trump anzuführend. Da ist die Fallhöhe dann naheliegender Weise noch größer.

Die Frage, die auch der Autor nicht wirklich beantworten kann: Warum machen gestandene Experten und erfahrene Politiker so etwas mit? Selbst wenn sie sich vielleicht zunächst das Ziel gesetzt haben, Schlimmeres zu verhindern - wann wird es Zeit, die Notbremse zu ziehen und sich selbst eine ständige Selbstverleugnung zu ersparen? Von Apologeten ist die Rede, deren Zahl ständig steige, und von vielen, die vom ersten Arbeitstag an ihr Kündigungsschreiben formulieren. Die Warnung aus dem Weißen Haus ist keine Überraschung, sie hinterlässt eher noch mehr Sorge: Es ist alles noch viel schlimmer. 

Anonymus, Warnung aus dem Weißen Haus
Quadriga Verlag, 2019
336 Seiten, 20 Euro
978-3-86995-097-6

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