Memoiren einer Aktivistin - "Black Lives Matter"

Es wäre schön, wenn Patrisse Khan-Cullors zusammen mit der Journalistin Asha Bandele in ihrer Autobiografie Rückschau auf ihr Lebenswerk halten und zufrieden Bianz ziehen könte.  Das Buch der Aktivistin ist in deutscher Fassung bereits vor zwei Jahren erschienen und sein Thema hat leider nichts an Aktualität eingebüßt. Denn Khan-Cullors ist eine der Gründerinnen der Kampagne #BlackLivesMatter.

Als sie mit der Arbeit begann, war es der Schock über den Tod des 17 Jahre alten Trayvon Martin und nur wenige Monate später des 18-Jährigen Michael Brown in Ferguson. Die Männer, die sie töteten - ein "Neigborhood Watch-Angehöriger im Fall von Trayvon Martin, ein weißer Polizist im Fall von Michael Brown - gingen straffrei aus. Beide Fälle machten weltweit Schlagzahlen, brachten dem Thema institutionalisierter Rassismus breite Aufmerksamkeit.

Die Bürgerrechtsbewegung hatte schon seit Jahren thematisiert: Afroamerikaner und andere Minderheiten sind überproportional unter den Insassen von US-Gefängnissen vertreten, werden im Vergleich zu Weißen oft härter bestraft. Nun zeigte sich: Es kann genügen, ein schwarzer Mann in der "falschen" Umgebung oder Situation zu sein, um in Lebensgefahr zu geraten. Und der völlig sinnlose Tod dieser Männer hatte, zumindest juristisch, keine Konsequenzen. 

#BlackLivesMatter behandelt diese gesellschaftlichen Hintergründe nicht so ausführlich-analytisch, wie es mir persönlich lieb gewesen wäre, aber es handelt sich ja auch um eine Biografie, zeigt insofern den ganz persönlichen Blickwinkel von Patrisse Khan-Cullors, ihre Kindheit in einer von mexikanischen Einwanderern geprägten Nachbarschaft in Los Angeles, die Erfahrung von Armut und Marginalisierung, die Erfahrung mit Polizeiwillkür, die ihre älteren Brüder bereits in Teenagerjahren machten. Auch Patrisse wurde als zwölfjährige festgenommen. Allerdings hatte sie Marihuana geraucht, wie es an ihrer high school in einem wohlhabenden weißen Viertel gang und gäbe war.

Insgesamt hatte Patrisse Khan-Cullors im Vergleich zu anderen Kindern ihrer von den Behörden vernachlässigten Nachbarschaft allerdings trotz der Armut der Familie in mancher Hinsicht viel Glück: Zum einen das Stipendium für die "weiße" junior high school, in der es viele Möglichkeiten gab, sich kreativ zu entfalten, dann eine weiterführende Schule, die ebenfalls ein breites künstlerisches Programm und ein sehr tolerantes Umfeld hatte - um so wichtiger, als Patrisse mit 16 Jahren ihr Coming-Out als queere Person hatte. Ihre spätere Organisation ist denn auch nicht allein vom Kampf gegen Rassismus, sondern auch gegen Homo- und Transphobie sowie für Feminismus geprägt.

Khan-Cullors, die seit ihren Schulzeiten als Vollzeit-Aktivistin (oder Organisatorin, wie sie es nennt) gearbeitet hat, sieht in den Organisatoren die Speerspitze für Veränderung. Da schleicht sich allerdings mitunter einiges an selbstgerechtem Pathos ein. Und, wie könnte es anders sein, die Kritik an den "etablierten Medien", die heutzutage generell als Sündenbock herhalten dürfen.

#BlackLivesMatter offenbart aber auch Wut und Verletzlichkeit, bettet die Familiengeschichte in den "Drogenkrieg" der Reagan-Ära oder den Umgang mit Gefängnisinsassen oder psychisch Kranken in der privaten "Gefängnisindustrie" der USA ein. Lesenswert, auch wenn hier nur die Perspektive einer "Blase" der afroamerikanischen Community - urban, queer, gebildet, aktivistisch - dargestellt wird. 

Patrisse Khan-Cullors, Asha Bandele, Black Lives Matter. Eine Geschichte vom Überleben
Kiepenheuer&Witsch, 2018
288 S
978-3-462-05128-5

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