Träume von Starruhm und harte Realitäten -"Spiel des Lebens"

Vom Lifestyle, Geld und vor allem vom Ruhm der Profifußballer sind wohl Kinder und Jugendlicher in aller Welt beeindruckt, die sich für Fußball interessieren. Und nirgends sind die Träume und die Hoffnungen größer als in den Ländern des globalen Südens, wo viele Menschen in Armut leben und die Bildungs- und Aufstiegschancen für die meisten Kids gering sind - und wo gleichzeitig die Liebe zum Fußball enorm ist. Der Straßenfußball, den man in Deutschland ja immer weniger findet, weil der sportbegeisterte Nachwuchs "ordentlich" im Verein angemeldet wird, ist in den Ländern Afrikas allgegenwärtig.

In "Spiel des Lebens" beschreibt Sebastian Abbot ein Scouting-Projekt des Golfstaats Katar und des spanischen Talentsuchers Josep Colomer, der das Projekt "Football Dreams" ins Leben gerufen hat, auf der Suche nach dem neuen, dem afrikanischen Messi. Mit der "Aspire"-Akademie in Doha, mehr noch aber ihrem Ableger in Senegal sollte der talentierteste Nachwuchs auf die mögliche Profi-Laufbahn vorbereitet werden. Und diese Laufbahn, in einem europäischen Club, hatte jedes der jungen Talente, die sich in den Tryouts durchsetzen konnten, als großes Ziel vor Augen.

Im Originaltitel heißt das Buch "Away Game" - und das trifft die Motivation der jungen Fußballer sogar noch besser. Denn ihr Ziel ist es ja, weg zu kommen aus ihren Ländern, aus Afrika, dorthin, wo ihre großen Vorbilder in den Spitzenclubs der Ligen spielen. Abbot hat lange recherchiert, mit Trainern, Scouts und Football Dreams-Mitarbeitern gesprochen, vor allem aber immer wieder mit den jungen Spielern, die er porträtiert und deren Weg er über die entscheidenden Jahre zwischen Straßenfußball und der Suche nach einem Profi-Vertrag verfolgt.

"Spiel des  Lebens" zeigt - Träume können an der Realität, an falschen Entscheidungen oder auch an menschlichen Querelen  hart scheitern. Die Jungen aus Ghana, Senegal, Nigeria und anderen Ländern, die die Chance durch Football Dreams nutzen wollen,  müssen lernen, dass Talent und Ehrgeiz, auch die Spielerfahrung, die sie auf der Straße und Schotter-Bolzplätzen gesammelt haben, nur bis zu einem gewissen Punkt helfen. Denn Profi-Fußball ist vor allem ein Geschäft - und da wollen viele mitmischen. Mal ist es ein falscher Berater, der nur an das schnelle Geld und nicht an das beste für den Schützling denkt, mal ist es die Erwartungshaltung der Familie, die die jungen Spieler unter Druck setzt.

Hinzu kommt Altersbetrug, der wohl auch bei einem erheblichen Teil der Jungen im Spiel war und der angesichts der weit verbreiteten Korruption in ihren Herkunftsländern leichter durchzubringen war als in Europa. Da stellt sich dann auch die Frage, ob die Akademie, ob Football Dreams nicht gleich bei der Entscheidung über die Tryouts viel genauer hätte hinsehen müssen. Manches, was Abbot über Spielintelligenz und Leistungsvermögen schreibt, ist ziemlich langgezogen und wohl nur für diejenigen interessant, die sich genauer mit Fragen von Training und Leistungssteigerung befassen. Persönlich fand ich es viel spannender, über die Wege der jungen Fußballer zu Erfolg oder Scheitern zu lesen.

Ein Problem, das die jungen Spieler mit europäischen Altersgenossen gemeinsam haben dürften, die in den Profi-Fußball wollen: Die wenigsten haben einen Plan B für den Fall, dass es doch nicht klappt mit der Profikarriere. Im Fall der afrikanischen Spieler sind die Konsequenzen angesichts verbreiteter Jugendarbeitslosigkeit noch einmal wesentlich härter, vor allem, da kaum einer der porträtierten Spieler einen Schulabschluss vorweisen konnte, nicht einmal nach den Jahren mit Schulunterrricht in der Akademie. Dass sich das bitter rächen kann, ist wohl nicht überraschend.

Ich habe einen Artikel über "Spiel des Lebens" gelesen, in dem von Neokolonialismus und modernem Sklavenhandel die Rede war. Na ja - Katar hatte nie Kolonien in Afrika, und der Handel mit Fußballtalenten geschieht ja nun wirklich nicht ohne Mitwirkung und Einverständnid der gehandelten. Da würde ich dann eher an das Schicksal der asiatischen und afrikanischen Bauarbeiter und Hausangestellten in Katar und anderen Golfstaaten denken, die oft unter Bedingungen leben und arbeiten, die mehr an Sklaverei als an einen regulären Job erinnern.

Sind die Träume der jungen Fußballer unrealistisch? Wer schon einmal die Begeisterung afrikanischer Kinder erlebt hat, die auf holprigen Böden barfuß oder in Flip flops dribbeln und kicken, ob in Slums, in Flüchtlingslagern oder in Dörfern, die vergessen vom Rest der Welt scheinen, notfalls mit einem aus Lumpen zusammengenähten Ballersatz, weiß: Fußball ist in Afrika viel mehr als nur ein Spiel. Wenn dann noch die Hoffnung keimt, gut genug für eine Laufbahn als Profi zu sein, haben diese Kinder und Jugendlichen viel weniger Ablenkungspotential als ihre europäischen Altersgenossen, einfach schon deshalb, weil die meisten von ihnen so viel weniger zur Verfügung haben. Diesen unbedingten Glauben an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu haben, kann ja durchaus positiv sein. Nötig wäre sicherlich mehr Ehrlichkeit der Ausbilder gewesen, dass nicht jeder es schaffen kann und ein Plan B nötig ist. Aber ehrlich - welcher talentierte Teenager rechnet schon mit Scheitern?

Sebastian Abbot, Spiel des Lebens
Edel, 2020
272 Seiten, 18,95
3841906338

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