John Lennon als Nachbar

Die Upper West Side in New York war schon immer ein nobles Pflaster, selbst zu der Zeit, als die Stadt mit Drogen und enormen Kriminalitätsraten Negativschlagzeilen machte. Doch selbst unter den Provilegierten, die  im Herzen Manhattans zu Hause sind, ist Anton Winters Adresse schon was Besonderes. Denn im Dakota Building, in dem der Sohn eines Talkshow-Moderators mit seinen beiden Geschwistern aufgewachsen ist, gehören zu den berühmten Nachbarn Lauren Bacall sowie John Lennon und Yoko Ono. Adresse ist eben alles, auch wenn es bei den Winters gerade ein bißchen klammer als gewöhnlich zugeht. Seit seinem Nervenzusammenbruch vor laufender Kamera liegt Buddy Winters Karrierre auf Eis. Doch allmählich fühlt er sich bereit für neue Projekte. Anton, der schon als Jugendlicher die rechte Hand seines Vaters war, soll ihm dabei behilflich sein.,

Zeit hat der mittlerweile 23-Jährige, der ein Jahr lang beim Peace Corps in Gabun war, bis ihn eine schwere Malaria fast das Leben kostete. In New York soll er sich nun erst einmal erholen. Auf das Leben in Westafrika war er langsam vorbereitet worden, die Rückkehr nach New York ist erst einmal ein Kulturschock. Anton hat vielleicht nicht das Afrika der zugedröhnten Kindersoldaten, der Flüchtlingslager und der Hungerkatastrophen erlebt, aber doch genug gesehen, um zu erkennen, dass sein bisheriges Leben sich von dem der meisten Menschen unterscheidet.

Auch Tom Barbash, der Autor von "Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens" ist in Manhattan aufgewachsen, und vieles von dieser Erfahrung dürfte in die Schilderung eines New York im Jahre 1979 eingeflossen sein, in der auch in Manhattan noch nicht alles auf  Hochglanz poliert war, wo auch ein paar Blocks jenseits des Dakota Building auf der Upper West Side ein Überfall mit vorgehaltenem Messer möglich war, wo im "Needles Park" nicht die Nannies der Bessergestellten mit ihren Schützlingen spazierten, sondern Junkies dahinvegetierten.  Antons Mutter, mit Joan Kennedy befreundet, macht Wahlkampfhilfe für Ted Kennedy, man kennt sich in diesen Kreisen aus gemeinsamen Schul- oder Collegejahren.

Barbash geht mit Understatement an die Gesellschaft zwischen Ivy League und Show Business heran, und das macht einen Reiz dieses Buches aus. Denn die normalerweise abgeschottete "bessere Gesellschaft", das sind hier eben Nachbarn, und keiner wäre so ordinär, um die Prominenz eines John Lennon ein besonderes Brimborium zu machen.

Unaufgeregt, stark dialoglastig, ist Barbashs Buch vor allem die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung, einer Lebenskrise, die auch die Schaffenskrise Lennons in dieser Zeit wiederspiegelt.  Der fiktive Fernsehtalker und der reale Beatle, das Leben am roten Teppich und auf der Schattenseite des Ruhms ist wie eine Momentaufnahme einer untergegangenen Zeit. Die Welt im Dakota ist noch in Ordnung,  ein wenig aber auch eine Insel, vor der die hartnäckigen Groupies ausharren, um einen Blick auf John Lennon zu erhaschen.

Stürme ganz anderer Art sind zu meistern, als Anton John Lennon im Segeln unterrichtet und auf einem Törn nach Bermuda begleitet. Es ist diese gemeinsame Erfahrung, die auch das Band zwischen dem jungen Mann und dem Rockstar so kräftigt, dass ihm der Gedanke zu dem Knalleffekt kommt, der Buddys Show befeuern soll: Eine Wiedervereinigung der Beatles in dessen Talk-Show.

"Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens" lässt mich etwas gespalten zurück. Auf der einen Seite enthält das Buch stimmige, detaillierte Skizzen, erinnert in den besten Momenten an die Screwball comedies der großen Zeit Hollywoods. Auf der anderen Seite wird zu selten aus diesen Skizzen ein dramaturgisches Gesamtbild aufgebaut, wirkt das Buch irgendwie unvollendet  und voller unerfüllter Versprechungen. Denn schreiben kann Tom Barbash eindeutig. Schade deshalb, dass es gerade am Schluss, der ja dramatisch sein könnte, merkwürdig blass und hastig ausfällt. Als Gesellschafts- und Stadtstudie trotzdem sehr gelungen.

Tom Barbash, Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens,
Kiepenheuer & Witsch, 2020
350 Seiten, 22 Euro
isbn 978-3-462-05311-1

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