Keine Chance gegen Rassismus?

Wenn man Robin DiAngela, Autorin von "Wir müssen über Rassismus sprechen", Glauben schenkt, dann sind Weiße per se Rassisten. Leugnen ist zwecklos, Abwehr- und Erklärungsversuche nur ein Zeichen "weißer Fragiliät". Und am allerschlimmsten sind die "Wohlmeinenden Progressiven", die versichern, sie sähen keine Hautfarben, sondern Menschen. Damit leugneten sie nämlich den Rassismus in dem sie sozialisiert und lebenslang gefangen seien. Peng, das hat gesessen!

Zwar schreibt DiAngelo, die eine "Diversitätstrainerin"  ist,  über die US-Gesellschaft, zieht Vergleiche zu Australien oder Südafrika - also Länder, in denen vor allem die Geschichte, Realität und der Bevölkerungsanteil Schwarzer Menschen ganz anders ist als etwa in Deutschland. Der Vorschlag, Schwarze Menschen/People of Colour durch Migranten zu "ersetzen", kommt mir angesichts der ganz anderen historischen Bedingungen eher schief vor. Trotzdem, DiAngelo (die selbst übrigens weiß ist), sieht für Weiße irgendwie keine Möglichkeit, aus der Rassismusfalle rauszukommen. 

Schwarze Lebenspartner oder Familienangehörige zu haben, prädestiniert offenbar auch nicht zum rassismusfreien Leben. Allenfalls könne man "Demut" entwickeln und gewissermaßen wie auf Eierschalen um schwarze Freunde/Nachbarn/Kollegen herumtänzeln, vorsichtig fragend, ob man auch nichts verletzendes geäußert habe. Ein unverkrampftes Verhältnis scheint das für mich nicht zu sein.

Nachdem ich mich durch DiAngelos Buch durchgequält habe, häufig angenervt und verärgert, vermute ich mal, dass meine Haltung die von ihr kritisierte weiße Fragilität zeigt. Oder die Autorin neigt zu solch larmoyanter Selbstgerechtigkeit, dass es mir einfach nur auf die Nerven geht.

Und das ist eigentlich schade, denn nicht nur #BLM in den USA zeigt, dass es wichtig ist, über Rassismus zu reden - auch die Debatte über strukturellen Rassismus, über #MeTwo, über"Wir-Gefühle", die andere ausschließen, etwa mit der berühmten Frage, die auch ich schon zu hören bekam, nämlich "Wo kommst du denn WIRKLICH her?"

So lange in den USA die Mehrheit der Gefängnisbevölkerung schwarz ist, so lange die in Armut lebenden Menschen mit schlechten Bildungschancen überdurchschnittlich häufig schwarz sind, ist die schwarz-weiß-Zeichnung (pun intended!) in DiAngelos Buch verständlich, aber im globalen Vergleich ist es eben nicht so einfach.  

Was ist denn zum Beispiel mit migrantischen Menschen vom Balkan oder aus Osteuropa, die nicht in eine "of colour"-Definition passen, aber ebenfalls Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben? Was ist mit Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund von Gender, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung oder sozialer Herkunft? Die Tatsache, dass die zehn reichsten Menschen in den USA allesamt weiß sind, bedeutet nicht, dass es nicht auch bittere Armut und null Aufstiegschancen unter Weißen gibt - da muss man nur mal die Bevölkerung in den Appalachen oder x-beliebigen amerikanischen Trailer-Parks ansehen. 

Völlig unberücksichtigt bleibt, dass rassistisches Verhalten und rassistische Stereotype keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal von Weißen sind. Da muss man sich nur mal beispielsweise in arabischen Ländern den Umgang mit Schwarzafrikanern (oder in den Golfstaaten mit süd- und südostasiatischen Einwanderern) ansehen oder das Verhalten chinesischer Investoren in Afrika. Ich bin sicher, Robin DiAngelo hat es gut gemeint, aber die Welt ist komplexer als ein Schwarz-Weiß-Bild.

 Robin DiAngelo, Wir müssen über Rassismus sprechen

Hoffmann & Campe, 2020

224 Seiten, 25 Euro

978-3-455-00813-5

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