Reise durch das schwarze Europa - Afropäisch

 Gibt es so etwas wie eine gemeinsame schwarze europäische Identität in Europa? Der Autor und Moderator Johny Pitts wollte es herausfinden. Für sein Buch "Afropäisch" reiste er fünf Monate lang durch Europa, vom heimischen Großbritannien nach Frankreich, nach Deutschland und Schweden, Russland und Portugal. Er traf Künstler, Immigranten, Menschen aus Vorstädten und Slums wie auch aus den angesagten Adressen der jeweiligen Hauptstädte. Ein wenig war er wohl auch für sich selbst auf der Suche nach afropäischem Empowerment, nach gelebter schwarzer Solidarität. Dabei habe ich mich mehr als einmal beim Lesen gefragt, wieso er - gerade auf der Suche nach einer postkolonialen, postrassistischen Gesellschaft - letztlich alles wieder auf den Blick auf die Hautfarbe konzentriert.

Denn einerseits: Schwarz sein oder mit einer Minderheiten- oder Einwanderererfahrung zu leben, macht nicht automatisch einen besseren, solidarischen oder politisch bewussteren Menschen. Zum anderen:Es gibt nicht "die" schwarze europäische Erfahrung, ebenso wenig wie es die weiße europäische Erfahrung gibt. Soziale Herkunft, Bildungschancen, Beruf, soziale und kulturelle Milieus bestimmen den Blick auf sich selbst und die Gesellschaft sicherlich nicht weniger als die Melanin-Konzentration der eigenen Haut. 

Schon Pitts eigene Biografie - seine Mutter ist weiß, aus einer Arbeiterfamilie in Sheffield, der Vater ein afroamerikanischer Künstler - unterscheidet sich von der Erfahrung von Einwanderern der ersten Generation oder Briten karibischer oder afrikanischer Herkunft. Und bereits der Blick auf das Porträt des Autors auf dem Buchumschlag hätte bei vielen meiner afrikanischen Freunde die Reaktion ausgelöst: "Der ist doch nicht schwarz!"

Dass die Gesellschaft buchstäblich nicht in ein Schwarz-Weiß-Schema einzuordnen ist, zeigen vielleicht besonders deutlich die Eindrücke Pitts in Schweden, das für ihn lange ein Sehnsuchtsland war, ein Land, in dem afropäische Künstler einen prominenten Platz in der Gesellschaft hätten. Doch hier ist es ausgerechnet eine seiner Gesprächspartnerinnen, Tochter eines weißen Schweden und einer Afrokubanerin, die sich über das schlechte Schwedisch der Einwanderer in den Ghetto-Stadtteilen auslässt und auf die dortigen Somalis herabblickt. Oder das völlige Unverständnis, das ihm seitens afrikanischer Studenten in Moskau entgegenschlägt, als er zu signalisieren versucht "Ich bin schwarz und du  bist schwarz". Für sie war Schwarzsein "kein Ding", da ihre Hautfarbe sie in ihren Heimatländern eben nicht zur Minderheit machte.

Afropäisch zu sein, das ist schließlich auch Pitts Erkenntnis, ist eine Erfahrung, die sich zu einem Mosaik formiert. Seine Eindrücke der Reise durch das schwarze Europa sind subjektiv, mal durch eine rosarote Brille gezeichnet, mal desillusioniert, stets mit neugierigem Blick und auf der Suche nach Gemeinsamkeiten. Ein Verdienst des Buches ist es sicher, dass es schwarze Communities in Europa sichtbarer macht, mit ihrer Vielfalt und ihren Unterschieden.


Johny Pitts, Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa

Suhrkamp Verlag, 2020

460 Seiten, 26 Euro

ISBN 978-3-518-42941-9

 

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