Sechs Generationen von Versklavung bis Emanzipation - "Heimkehren"

 Wenn von schwarzer Geschichte die Rede ist oder in der Literatur schwarze Perspektiven abgebildet sind, dann sind sie im europäischen oder nordamerikanischen Literaturbetrieb meist ziemlich einseitig - nämlich afroamerikanisch, vielleicht afrobritisch, geprägt von Rassismuserfahrungen und Minderheitenleben. Das kommt in Yaa Gyasis buchstäblich epochalen Roman "Heimkehren" nicht zu kurz. Doch Gyasi, in Ghana geboren, in den USA aufgewachsen, setzt das afrikanische Element dazu - nicht verklärend, nicht überhöht, sondern unsentimental und die Geschichte buchstäblich vervollständigend. 

Über sechs Generationen hinweg verfolgt sie die Geschichte einer Familie an der Goldküste im heutigen Ghana, beginnend mit zwei Schwestern, die sich nie kennengelernt haben: die eine wird Cape Castle als Sklavin nach Nordamerika verschleppt, die andere wird zur Zweitfrau eines britischen Offiziers, letztlich eine Begünstigte des Sklavenhandels.

Cape Castle ist für afroamerikanische Touristen auf der Suche nach ihren Wurzeln ein must go - die "Pforte ohne Wiederkehr" zu den Sklavenschiffen könnten auch ihre Vorfahren durchschritten haben. Präsident Obama war hier auf seiner ersten offiziellen Afrikareise als erster schwarzer US-Präsident. Und immer wieder sind diese amerikanischen Touristen überrascht, trotz ihrer Hautfarbe von den einheimischen sofort als Touristen identifiziert zu werden. Viele Afrikaner, die als Studenten oder Einwanderer in die USA kommen, sind unterdessen  häufig schlecht auf Afroamerikaner zu sprechen, von denen sie sich nicht akzeptiert fühlen. Erfahrungen wie diese schildert auch Yaa Gyasi in einigen Abschnitten ihres Buches.

Es ist eine Geschichte, die nicht gerne gehört wird: aber vieles am Sklavenhandel hätte nicht oder nicht so gut funktioniert ohne Mitwirkung von Afrikanern - sei es in Form einer Allianz, um Feinde oder Gefangene zu verkaufen, sei es über die Hilfe der Verwandtschaft und der afrikanischen Frauen, die britische, portugiesische oder niederländische Offiziere und Sklavenhändler geheiratet hatten und die von dem Geschäft mit Menschen profitierten.

Zwar hat "Heimkehren" einen Ursprung in Afrika und folgt auch dem Weg der dortigen Familie, ausführlicher aber wird das Schicksal in den USA geschildert - die Sklaverei, die Jim Crow Gesetze, der anhaltende Rassismus und die Diskriminierung, die auch die freien Schwarzen erleben. Auch eine afrikanische Nachfahrin wird mit ihren Eltern in die USA auswandern und für die afrikanische Diaspora im schwarzen Amerika stehen, bis sich der Kreis schließlich dort schließt, wo alles begann.

"Heimkehren" handelt von Trauma, vererbten Leidenserfahrungen und Überleben, aber auch von Hoffnung, Unbeirrbarkeit und Mut. Yaa Gyasi zeigt in ihrem Roman, wie  über Generationen hinweg Erfahrungen weitergetragen werden und Neues entsteht, Brüche vollzogen und Kontinuität erhalten bleibt - wie bei der Kette mit dem schwarzglänzenden Stein, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und die am Ende die Familienzweige verbindet.


Yaa Gyasi, Heimkehren

Dumont, 2017

416 Seiten, 22 Euro

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