Anarchie und Ganovenehre - Die Kobra von Kreuzberg

  Das ist Pulp Fiction vom Feinsten: Beverley Kaczmarek, Spross eines Ganovenclans aus Opole, will es ihrer Familie endlich mal beweisen. Sie hat genug davon, als das angeblich unfähige Nesthäkchen belächelt zu werden. Gerade können sich ihre älteren Brüder dank des Diebstahls zweier Fabergé Eier im Ruhm sonnen - da muss Beverley noch eins drauf setzen. Das ist ganz klar eine Frage des Diebesehre! Ihr Coup soll ihr endlich den verdienten Respekt der Familie verschaffen, womöglich gar einen Artikel im internationalen Fachmagazin der Branche, dem Heist Journal! Einfacher Kunstraub ist nichts für Beverley: Sie will die Quadriga vom Brandenburger Tor klauen - und auch mit den logistischen Herausforderungen fertig werden. Immerhin: wie ist so eine Beute wegzuschaffen?

In "Die Kobra von Kreuzberg" bedient sich Michel Decars eines wunderbar schrägen und trashigen Humors und rasanten Tempos. Durch das ganze Buch zieht sich ein wunderbarer Hauch von Anarchie, mit Seitenhieben auf die bürgerliche, man könnte auch sagen spießige Welt der Gesetzestreuen. Klischees werden liebevoll ausgespielt - nicht nur kommen die Kaczmareks aus Polen, es wimmelt nur so von Referenzen an Balkan und Zentralasien, selbst der Kommissar, der sich an Beverleys Spuren heftet, kommt aus Ungarn. Und mit Wetteranarchisten Dragan findet Beverley nicht nur einen Partner in crime, sondern noch viel mehr.

Zwischen Slivovitz und Wodka, illegalen Wettbüros und internationalem Kunstraub wird so ziemlich alles aufgeboten. Dass die Männer des Kaczmarek-Clans allesamt in Trainingsanzügen auftauchen - man hört beim Lesen förmlich das Rascheln von Nylonstoff, sieht lange Koteletten und hört das Rattern von Ladas - gehört da nur zum Spiel mit den Klischees. Bandwurmsätze voller bildhafter Ausschmückungen a la Raymond  Chandler mögen an die Serie noir erinnern, hier aber ist alles bevorzugt neongrell mit einer Note Berliner Schmuddelecke. Beverley erinnert an eine kriminelle Pippi Langstrumpf, die Autoritäten in Frage stellt, ihr Ding durchzieht und sich nichts gefallen lässt.

Schon allein der witzigen Dialoge und Beverleys Gedankengängen wegen lohnt sich die Lektüre der "Kobra von Kreuzberg". Bis zu den kleinsten Nebenfiguren wird genüsslich alles auf die Spitze getrieben. Ziemlich klar, dass Michel Decar beim Schreiben eine Menge Spaß hatte. Mir ging es beim Lesen ebenso.  


Michel Decar, Die Kobra von Kreuzberg

Ullstein 2021

208 Seiten, 22 Euro

9783550200946

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