Von Alltagsrassismus, Neuerfindung und guten Absichten - such a fun age

 Alix Chamberlain, erfolgreiche Influencerin Mitte 30 und eine der beiden Hauptfiguren in Kiley Reids Debürtoman "Such a fun age", hat durchaus etwas mit Popqueen Madonna gemeinsam: Auch sie hat sich immer wieder neu erfunden: Vom neureichen und irgendwie peinlichen Mädchen zum Highschool Outcast, dann aber erfolgreiche Autorin von Bettelbriefen, um kostenlos Produkte zu bekommen, ist ihre Marke nun Woman Empowerment. Allerdings ist die digitale Karriere ins Stocken geraten, seit die Frau eines News Anchors und Mutter zweier Kinder im Vorschulalter von Manhattan in die Provinz gezogen ist - eine Tatsache, die sie ihren Leserinnen wohlweislich vorenthält. Schwangerschaftspfunde und kreativer Blackout sorgen für Frust. Wie gut, dass es Emira  gibt, dass 25jährige Kindermädchen, das sich vor allem um die dreijährige Bria kümmert.

Emira ist zwar die erste Collegeabsolventin ihrer Famlie, aber merkwürdig antriebslos. Während ihre gleichaltrigen Freundinnen ehrgeizig das Leben in Angriff nehmen, ist sie ganz zufrieden mit ihrer Situation. Zwar weiß sie, dass sie demnächst aus der Krankenversicherung über ihre Eltern rausfällt, aber Pläne machen ist nicht so sehr Emiras Ding. Auch als Alix ausgerechnet spätabends anruft, während Emira auf einer Geburtstagsparty anruft und Emira dringend zu einem Spezialeinsatz bittet, nimmt die junge Frau das eher hin.

Abends mit ihrem Lieblingskind Briar Zeit in einem Supermarkt totschlagen, während die Chamberlains wegen eines eingeschlagenen Fenstern auf die Polizei warten, ist dann allerdings doch nicht so entspannend: Ein Wachmann beschuldigt sie, das kleine Mädchen womöglich entführt zu haben, nachdem eine übereifrige Kundin Alarm geschlagen hat. Denn Emira ist Afroamerikanerin - und ihre Arbeitgeber sind weiß.

Ein junger Mann, der den Zwischenfall mit dem Handy gefilmt hat, rät Emira, sich an die Medien zu wenden, den Supermarkt zu verklagen, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen, doch Emira will einfach nur ihre Ruhe. Alix hingegen ist der Zwischenfall peinlich und in der Zwischenzeit überbietet sie sich,ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, den Supermarkt zu boykottieren und Emira immer wieder zu beteuern, wie sehr sie auf ihrer Seite stünde. Mehr noch, sie entwickelt ein ziemlich merkwürdiges Interesse an ihrer Babysitterin und hofft auf ihre Freundschaft, was Emira wiederum sehr merkwürdig findet.

Als sie zufällig den jungen Mann mit der Handykamera wieder trifft, entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung - obwohl Emira eigentlich nichts mit weißen Männern im Sinn hat. Als wegen eines Schneesturms der geplante Thanksgiving-Besuch bei ihren Eltern wegen abgesagte Flüge ausfallen muss, laden die Chamberlains das Paar zum Thanksgiving Dinner mit Freunden ein. Der Abend entpuppt sich als Stimmungskiller, denn Emiras Freund ist die High School-Liebe von Alix, die seinerzeit schlecht ausging. Beide buhlen hinterher geradezu um ihre Zuneigung und machen den jeweils anderen schlecht. Ist Alix eine verkappte Rassistin? Fetischisiert der Lover schwarze Frauen und umgibt sich mit ausschließlich schwarzen Freunden, um weiße Schuldgefühle zu kompensieren?

Es gibt durchaus witzige, boshafte und amüsante Szenen in "Such a fun age" und die Autorin schreibt sowohl unterhaltsam als auch entlarvend über Alltagsrassismus, Schuldgefühle, und den Wettstreit privilegierter weißer Menschen, wer denn der best BIPoC-Ally ist. Es geht um Privilegien, die sich die Privilegierten selbst nicht eingestehen wollen, um eine demonstrative Begeisterung für schwarze Kultur und die Vereinnahmung schwarzer Freunde für das eigene Selbstwertgefühl. All das eben nicht problembehaftet und dogmatisch, sondern satirisch entlarvend  und durch Emira und ihre Freundinnen reflektiert. Insofern eine wirklich gelungene Gesellschaftssatire. 

Trotzdem war das Buch für mich kein hundertprozentiger Genuss - einfach deshalb, weil mir keine der beiden Hauptfiguren sympathisch war. Während Alix eine letztlich oberflächliche und selbstbezogene Vorortmami  ist, nervte mich Emira mit ihrer Passivität und Unentschlossenheit, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen will - ganz anders als ihre ambitionierten und erfolgshungrigen Freundinnen.


Kiley Reid, Such a fun age

Ullstein, 2021

352 Seiten, 22 Euro

9783550201240

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