Von wegen Hopfen und Malz verloren! - Die Bierkönigin von Minnesota

 Möglicherweise sind die Feinheiten von J Ryan Stradals Roman "Die Bierkönigin von Minnesota" an mich verschwendet - mein bevorzugtes alkoholisches Getränk ist Wein und den Hype um CraftBiere habe ich zwar mitgekriegt, bin aber nicht mitgehypt. Bier war für mich immer ein Durstlöscher an heißen Tagen, aber damit hat es sich auch schon. Stradal, so vermute ich mal, ist eher Biertrinker. Getränkevorlieben sind aber auch egal, denn so viel in diesem Buch auch von Bier die Rede ist, geht es doch vor allem um zwei starke Frauenfiguren, nein, eigentlich drei. Um Frauen, die ihren weg gehen, nicht immer unbeirrt, nicht immer gerade, aber dennoch konsequent. Um Familienbande, die so eng sein können und die bei einem Bruch ein Nachbeben über Generationen haben können. Kurzum, es geht um sehr viel mehr als nur um Hopfen, Malz und eine schaumige  Krone.

Die erste der Frauen, auf die der Leser stößt, ist Edith - Anfang 60, seit Jahrzehnten in einem Pflegeheim beschäftigt, wo sie ebenfalls seit Jahrzehnten einmal in der Woche Kuchen bäckt für die Bewohner. Nach dem Motto: Wer dem Tod näher ist als dem Leben, soll wenigstens einen guten Kuchen essen können. Niemand ist überraschter als Edith, als ihre Pies es in einem Zeitungsartikel zu den angeblich drittbesten des Staates Minnesota schaffen. Edith ist eher genervt von dem plötzlichen Ruhm, der für sie vor allem mit mehr Arbeit verbunden ist. Denn plötzlich wollen alle ihre Scheibe vom Kuchen, vereinsamte Senioren bekommen an Kuchentagen wieder Besuch von Verwandten, die sie jahrelang vernachlässigt haben und ein paar geschäftstüchtige Heimbewohner verkaufen sogar Verwandtenstatus. Schließlich taucht sogar eine Profi-Bäckerin auf, die Edith abwirbt, um in einer anderen Stadt für ein hippes Café zu backen.

Wer glaubte, hier beginnt jetzt die Story einer einfachen, auf einer Farm aufgewachsenen Frau, die auf ihre alten Tage endlich Anerkennung und Erfolg findet, hat sich getäuscht. Nicht nur, dass Ediths Mann an einer Demenz erkrankt und das Café aus finanziellen Gründen abgewickelt werden muss - ihre Tochter und Schwiegersohn kommen bei einem Unfall ums Leben. Plötzlich muss die verwitwete Edith nicht nur mehrere Mini-jobs ohne Sozialversicherung jonglieren, sondern ihre Enkelin Diana aufziehen.

Nicht nur wegen des Umzugs zur Großmutter  fühlt sich Diana an der high school als Außenseiterin. Mit Diebstählen bessert sie das Familieneinkommen auf. Als sie schon fast das klauen aufgeben will, weil sie endlich Anschluss an die Nerd-Clique ihrer Schule gefunden hat, wird sie erwischt und bekommt ein Angebot: Statt einer Anzeige Strafarbeit in der Brauerei des Diebstahlopfers. Was als Putzjob beginnt, endet mit der Faszination fürs Bierbrauen. Hartnäckig setzt sie sich dafür ein, erst das Brauen lernen zu dürfen und dann ein eigenes Bier zu brauen. Ähnlich wie ihre Großmutter mit ihren Pies kann schließlich auch Diana mit einem ganz besonderen Bier punkten, doch auch sie muss immer wieder gegen Widerstände und Probleme angehen.

Noch eine weitere Frau der Familie hat früh eine Leidenschaft fürs Bierbrauen entwickelt: Ediths Schwester Helen, die allerdings mit einem billigen Massenprodukt den Erfolg gesucht hat. Seit einem Zerwürfnis vor Jahrzehnten sprechen die Schwestern nicht mehr miteinander. 

Wie weit geht man, um den persönlichen Traum zu verwirklichen? Woran wachsen, woran zerbrechen Beziehungen? Wie schafft man es, trotz aller Schwierigkeiten nicht aufzugeben und klein beizugeben? Für Edith, Diana und Helen geht es um diese und andere Fragen. Die ruhige Erzählweise passt zu der Welt des Mittleren Westens und seiner Menschen. Wer die Bücher von Kent Haruf mag, wird auch Stradal gerne lesen. Und ganz nebenbei erfahren auch nicht-Biertrinker eine Menge über Hopfen, Malz und die Kunst des Brauens.


J Ryan Stradal, Die Bierkönigin von Minnesota

Diogenes, 2021

432 Seiten, 18 Euro

978-3-257-30059-8

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