Wölfe im Hochland und der Streit zwischen Naturschützern und Bauern

 Kaum eine der Neuerscheiungen des vergangenen Jahres hat mich so fasziniert wie "Zugvögel" von Charlotte McConnaghy - da war es ein klarer Fall, unbedingt auch ihren neuen Roman "Wo die Wölfe sind" lesen zu wollen. Eindringliche Naturbeschreibungen, das Überleben bedrohter Tierarten und der leidenschafttliche, auch mal verbissene Einsatz von charismatischen Einzelgängerinnen und starken Frauengestalten prägen auch dieses Buch. Gleichzeitig gibt es deutliche Unterschiede.

Die Ich-Erzählerin Inty ist die Tochter einer australischen Polizistin und eines kanadischen Aussteigers und "Pferdeflüsterers". Und sie leidet an einem seltenen Phänomen, er Mirror-touch-Synästhesie: Was einem anderen Wesen geschieht, kann sie spüren, wenn sie ihm in die Augen blickt. Durchaus traumatisch, wenn sie etwa als Achtjährige den Tod eines Kanninchens erlebt.  Wichtigste Bezugsperson ist Intys Zwillingsschwester Aggie, mit der sie ein symbiotisches Verhältnis hat. Doch während früher Inty die Introvertierte war und die erlebnishungrige Aggie im Vordergrund stand, ist Aggie nun buchstäblich verstummt und so unsichtbar geworden, dass ich mich über lange Strecken des Buches gefragt habe, ob sie tatsächlich existiert, oder nur ein Produkt von Intys Einbildung ist. Schließlich war bereits der Vater psychisch krank.

In der Erzählgegenwart ist Inty Biologin und Leiterin eines Ansiedlungsprojekts für Wölfe im schottischen Hochland. Wer die Diskussionen um die Rückkehr der Wölfe hierzulande verfolgt, weiß: Kaum ein Tier polemisiert so sehr wie der Wolf. Es gibt Menschen, die sind fasziniert von den scheuen Vettern domestizierter Hunde - und es gibt Menschen, die Wölfe buchstäblich verteufeln. Eine Erfahrung, die auch Inty meint. Während sie und ihre Teamkollegen davon überzeugt sind, dass die Ansiedlung der Wölfe gleich mehrere ökologische Probleme und Herausforderungen wieder ins rechte Lot rücken kann, sind die örtlichen Bauern, allen voran die Schafhalter, wenig begeistert von den neuen Mitbewohnern in den Wäldern.

Als ein Farmer tot aufgefunden wird, eskaliert die Situation. Werden die Wölfe jetzt buchstäblich Freiwild? Und wer ist die Bestie - Mensch oder Tier? Dabei muss sich Inty auch eigenen Abgründen aus der Vergangenheit stellen. In ihrer Parteilichkeit für die Wölfe steht sie der aufgeladenen Empörung der Dorfbewohner nicht nach, droht alle professionelle Distanz zu verlieren. Voller Gewalt ist aber nicht nur die Wildnis - das Buch enthält einige harte Szenen, in denen die "Bestie Mensch" ungeschönt gezeigt wird.

Vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Spezies - da Seeschwalbe, hier Wolf, dass "Zugvögel" deutlich poetischer wirkt als "Wo die Wölfe sind mit seiner teils sehr düsteren und rauen Stimmung. Überzeugend und beeindruckend sind auch hier wieder die Naturszenen. Auch über die Wölfe und ihre Sozialordnung hat die Autorin ausführlich recherchiert. Spannend, faszinierend, emotional aufgeladen und mit teils gebrochenen, vielschichtigen Figuren.

Charlotte McConaghy, Wo die Wölfe sind

S. Fischer 2022

432 Seiten, 22 Euro

 978-3-10-397100-2

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