Zurück ins Mittelalter - eine russische Dystopie

 Mit "Der Tag des Opritschniks" hat Vladimir Sorokin eine Dystopie geschrieben, die laut Klappentext eine hellsichtige Satire auf das Russland Putins ist, vor allem aber eine Zukunftsvision mit mittelalterlichen Sitten (und Unsitten) verbindet. Ich-Erzähler ist ein Opritschnik, Mitglied einer Ordensgemeonschaft, die trotz Ikonenkult wenig christiliche Barmherzigkeit verbreitet. Vielmehr handelt es sich um eine streng hierarchische Schar von Vollstreckern, die im Auftrag ihres Ältesten und des Gossuraren, des Herrschers im Kreml, morden, brandschatzen, plündern und vergewaltigen.

Drastisch geschildert wird hier ein absolutistisches Machtgefüge geschildert, in dem Feudalismus und High Tech eine Verbindung eingehen. Russland hat den Westen unterworfen, einzig verbliebende andere Großmacht ist China, das als wichtigster Handelspartner auch so gut wie alles produziert, was in Russland gebraucht wird. Dennuziation, grausame Strafen, religiöser Nationalismus und die an Vergötterung grenzende Verehrung des Mannes an der Spitze prägen dieses Russland.

Barbarei wird hier zum Mittel der Politik. Als Warnung vor Totalitarismus kann dieser Roman aus dem Jahr 2006 allemal gelten. Hier gehen die schlimmsten Traditioen Russlands vom Zarenreich bis in die Gegenwart eine schreckliche Allianz ein. Sympathieträger, die die Leser zur Identifikation einladen, gibt es hier nicht, dafür imperiale Großmachtsdemonstrationen und einen Männlichkeitskult, der es mi immer wieder schwer machte, das Buch zu beenden. Das liegt nicht am Schreibstil Sorokins, sondern an Protagonisten, die in einer Zeit, in der etwa Kriegsverbrechen in Butscha und Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine die Nachichten beherrschen, trotz ihrer historisierenden Art erschreckend aktuell sind. 

Ein Tag im Leben eines Opritschniks, vom Katerfrühstück am Morgen über eine Hinrichtung am Vormittag, politische Intrigen, Begutachtung von Kultur auf Staatsgefälligkeit, Strafaktionen und gemeinsamen Drogenkonsum in der Banja - pralles Leben findet auf diesen Buchseiten statt, allerdings voller Negativeindrücke. Satire? Auf jeden Fall Warnung vor der Barbarei, in die ein Land zurückfallen kann, Männlichkeitsrituale, die so übersteigert sind, dass sie in der Tat kaum ernst genommen werden und eine Paranois, die selbst die erfasst, die ganz nah an der Macht sind. Ganz schön schrecklich, dieses Russland. 

Vladimir Sorokin, Der Tag des Oprtischniks

KiWi 2022

224 Seiten, 13 Euro

978-3-462-00410-6

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