Die Kunst des Scheiterns und die Faszination des bösen Bosses - Mick Herron über die Slough House-Serie

 Ich gebe es zu: Das Mick Jagger Video mit dem Titelsong für die Mini-Serie "Slow Horses" hatte mein Interesse geweckt und mich auf den britischen Schriftsteller Mick Herron aufmerksam  gemacht:  "surrounded my losers, misfits and boozers..." - ja, das klingt nicht gerade nach einer vielversprechenden Arbeitsumgebung. Jedenfalls besorgte ich mir Band eins und auch die folgenden. Nun erscheint bei Diogenes mit "London Rules" der fünfte Band der mittlerweile achtreihigen Serie in deutscher Ausgabe,

 Agenten, die keinerlei Lizenz zum Killen haben stehen im Fokus der vielfach ausgezeichneten Krimis von Mick Herron um den Geheimagenten Jackson Lamb. Seit April 2022 läuft der Stoff als Serie bei Apple TV mit Gary Oldman. Spätestens seitdem ist der Autor mit dem sehr britisch-schwarzen Humor, ironischen Dialogen und gepflegtem Sarkasmus kein Geheimtipp mehr. 

Herron mag an die Tradition von John LeCarré anknüpfen, doch die Protagoniste seiner Bücher sind Agenten, die so weit von Superhelden im Sinne von James Bond entfernt sind, wie es überhaupt möglich ist.

Zu den Figuren gehören: Eine trockene Alkoholikerin, ein Kokserin mit Problemen bei der Selbstbeherrschung, Gescheiterte und Traumatisierte. Im Slough House, einer Art Entsorgungsstation für gescheiterte Spione, dürfen sie nur noch sinnentleerte, stumpfsinnige Aufgaben übernehmen. Dafür sorgt Lamb. Im Kalten Krieg und damals in Ostberlin, Prag oder Moskau hätte man ihn wohl den Station Chief genannt. Das ist lange her, und er hat zu viel gesehen. Doch wie abgebrannt Lamb auch sein mag - seinen Mitarbeitern kann er immer noch das Leben zur Hölle machen. Ein Leben, das übrigens überraschend oft plötzlich und gewaltsam endet in den Büchern der Serie.

Herrons bildhafte Sprache und Verwendung von Metaphern mag an Raymond Chandler erinnern, und eine Noir-Stimmung kommt bei der Arbeit in Slough House automatisch auf. Doch zugleich ist das Personal seiner Romane deutlich diverser als in traditionellen Spionageromanen.

Was macht die erfolgreichen Krimis des Briten Herron aus? Und was hält er selbst von der Verfilmung mit Gary Oldman in der Hauptrolle?

Dass Mick Herron das Spiel mit Worten und Stimmungen liebt, ist seinen Büchern anzumerken. Führt er seine Leser auch gerne auf eine falsche Spur? Die Eingangsszene von "London Rules" etwa weckt Bilder und Assoziationen, die sich später als völlig falsch erweisen. «Ich habe eine Liste mit Wörtern gemacht, die die Lesser in eine bestimmte Richtung denken lassen und Vorstellungen wecken», sagte Herron im Gespräch über seine Romanserie. «Ich finde, man kann solche Spiele mit dem Leser machen. Aber es geht mir eher um das Spiel mit der Sprache und nicht darum, eine Falle für die Leser zu bauen.»

Dazu gehört auch, dass am Anfang eines jeden Buches eine Einführung in Slough House und seine Bewohner vorkommt, die grubdsätzlich nie einem der vorangegangenen Bücher gleicht. «Es ist immer eine Herausforderung, das Haus zu beschreiben und anzudeuten, was passiert, ohne, dass Routine aufkommt», so Herron, der in «London Rules» die Morgendämmerung mit dem aufkommenden Sonnenlicht geradezu poetisch durch das Haus führen lässt - und am Ende mit der Abenddämmerung gewissermaßen den Vorhang sinken lässt.

Überhaupt ist das Gebäude kein reines Phantasieprodukt - Herron ging einst auf dem Weg zur Arbeit, als er mit dem ersten Buch begann, an dem Gebäude vorbei und wählte es als Vorlage für Slough House. «So weit ich weiß, gibt es im echten Leben aber keine Entsprechung zu Slough House», betonte er.

Bei der Verfilmung des ersten Buchs der Reihe, «Slow Horses», hatten die Produzenten zugesichert, sich eng an die Romanvorlage zu halten und die Stimmung des Romans korrekt wiederzugeben. Doch nicht nur das: Auch das Gebäude, das für Herron der Ort der gescheiterten Agenten war, wurde für die Verfilmung angemietet. Die Türen des MI5 seien für ihn wie auch für die Fernsehcrew aber verschlossen geblieben.

Herron gehört nach eigenen Angaben nicht zu den Autoren, die mit einem fertigen Konzept an eine Buchreihe gehen. «Womöglich bereitet es Freude, so einen Plan abzuarbeiten - aber mich würde es wohl ermüden», meint er. Hinzu kommt, dass seine Bücher zahlreiche aktuelle Bezüge haben, wie etwa die Brexit-Debatte. «In den ersten Büchern ist das noch nicht so stark vertreten, es geht dann richtig los mit London Rules», so Herron. «Wenn eine Regierung von einem Disaster ins nächste stolpert, dann gibt das einem Schriftsteller einfach viel Material.»

Zwar blieben die poltischen Anspielungen eher im Hintergrund, da es sich schließlich vor allem um einen Spionageroman handele. «Aber ich habe Glück, weil ich gerne schwarzen Humor verwende und über Inkompetenz und Katastophen schreibe - und seit Jahren haben wir Regierungen gehabt, die reichlich Inkompetenz und Katastrophen lieferten. Wenn ich darüber schreibe, ist das schon comedy.»

Doch auch wenn die Bücher Herrons von einem sehr britischen trockenen und dunklen Humor strotzen, sollten sich die Leser besser nicht zu sehr an die gescheiterten Spione gewöhnen. Herron entledigt sich immer wieder des einen oder anderne Charakters seiner Bücher auf recht blutige Weise. Dahinter steckt Absicht. «Das kann die Leser irritieren, wenn sie wissen, ein Autor ist willens, seine Figuren zu töten. Niemand ist sicher.»

Und er bekennt sich auch zu seiner schriftstellerischen Grausamkeit, die womöglich auch andere Leser-Erwartungen enttäuscht: «Alle glauben, sie sind der eigentliche Held, dass es Hoffnung gibt und Erlösung.» Weit gefehlt. «Die Charaktere hoffen, aber das hilft nichts. Man kommt nicht raus aus Slough House, es sei denn, man kündigt. Oder stirbt.» Er fühle durchaus mit seinen verkrachten Existenze. «Aber ich mache es ihnen nicht leichter.»

Dabei sind es nicht nur die gescheiterten Karierren, die die "slow horses" plagen. Mit Jackson Lamb haben sie einen Chef, wie ihn sich niemand wünscht. Übellaunig furzt, flucht und trinkt er sich durch den Arbeitstag, den er seinen Untergebenen möglichst unangenehm gestaltet. Wer im eigenen Berufsleben schwer gefrustet ist, dem bleibt beim Lesen der Slough House-Reihe ein Trost: Es geht immer noch schlimmer.

Herron sieht diese Dauergechichte des Scheiterns gerade zu philosophisch: «Das hat mich beim Schreiben des ersten Buchs gereizt. Ich finde Unglück, Versagen, gescheiterte Karierren interessant. Denn das ist doch eine weit häufigere Erfahrung als großer Erfolg und Triumpfe. Sicher, jeder will die Momente genießen, in denen es von allen Seiten Lob gibt. Aber die sind selten. Meist verbringen wir unser Leben damit, dass zu tun, was wir tun müssen, um die Miete zu bezahlen und die Gasrechnung, die mittlerweile fast durch die Decke geht. Das ist etwas, was der Leser kennt.»

Denkt man an Spione aus der Literatur und auf der Leinwand, insbesondere aus Großbritannien, fallen vor allem James Bond und John LeCarrés George Smiley ein. Mit beiden hat Jackson Lamb wenig gemeinsam - auch wenn er durchaus ein Raffinesse und scharfen Verstand an den Tag legen kann, der auch Smiley prägte - allerdings ohne dessen Zurückhaltung und Selbstbeherrschung.

«Er ist eindeutig übellauniger als George Smiley», sagt Herron über Lamb. «George Smiley ist eine wunderbare Figur, und John LeCarré der größte Schriftsteller von Spionageromanen, den es je gab.» Die Figur des Jackson Lamb sei für ihn einfacher zu schreiben gewesen: «Ich habe ihm einen Charakter und Eigenschaften gegeben, die entrüsten, und damit ist er ziemlich eingängig.»

Lamb sei generell ein Menschenfeind, der alle gleich schlecht behandele, so Herron über seinen Protagonisten, der gegen so ziemlich jede Regel politischer Korrektheit verstößt. «Aber ich halte ihn immer auf eine Armlänge auf Abstand, so dass man nicht weiß, was er wirklich denkt. Und viele seiner scheußlichsten Äußerungen sind doppeldeutige Wortspiele. Ich lasse den Leser nicht in seinen Kopf sehen, denn wenn er genau meint, was er sagt, wäre er unerträglich. Und wenn er nur etwas vorspielt, hört er auf, gefährlich zu sein. Ich glaube, er spielt eine Rolle und genießt es, diesen unangenehmen Charakter zu spielen.»

Genossen haben dürfte das auch Gary Oldman, der in der Verfilmung die Rolle des Jackson Lamb spielt - mit kaputten Socken, fettigen Haaren, Whiskyflasche und stets missgelauntem Gesichtsausdruck. Dass er vor ein paar Jahren ausgerechnet den Part des George Smiley übernahm, habe bei der Besetzung vielleicht auch eine Rolle gespielt, mutmaßt Herron. «Wenn einer der größten Charakterdarsteller unserer Zeit die Rolle übernimmt, dann muss man ihm einfach trauen!» sagt Herron, der mit der Verfilmung seines Buchs überaus zufrieden ist. «Ich habe beim Schreiben normalerweise keine visuelle Vorstellung der Figuren - aber Gary Oldman ist ein perfekter Jackson Lamb.»

Dabei ist Oldman nicht der einzige Superstar, der in die TV-Version eingebunden war: Mick Jagger schrieb und sang den Titelsong «Strange Game», der ein wenig an die Intros der James Bond-Filme erinnert - ergänzt um Herrons Sinn für Humor. «Ich konnte es einfach nicht glauben!» sagt Herron, und die Aufregung ist ihm immer noch anzuhören. «Ich bekam einen Anruf, und es hieß - Mick Jagger macht den Song. Und ich konnte ein Jahr lang niemandem davon erzählen!»

Inzwischen sei nicht nur die Verfilmung des zweiten Buchs abgeschlossen und die des dritten laufe - auch Herron arbeitet an einem neuen Buch. Das sei allerdings nicht Teil der Serie, betont er. «Es spielt in einer ähnlichen Welt, und ich denke mir, die Leser der Serie könnten auch dieses Buch mögen.» Noch allerdings muss der Schriftsteller sehen, welchen Weg seine Figuren einschlagen. «Es ist noch nicht fertig. Und wenn ich es auch genieße, dann auf die Art, wie man die Besteigung eines sehr steilen Bergs genießt - manchmal fragt man nicht, wannn je der Gipfel erreicht ist. Es ist immer auch ein Kampf.» Abgeschlossen habe er mit Jackson Lamb und seinen verhinderten Spionen aber noch nicht. «Es wird einen Band neun geben. Aber erst in ein paar Jahren.»

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