Einblick ins Verteidigerleben
Wer die Roman von
John Grisham gelesen oder amerikanische oder britische Gerichtsdramen auf der
großen Leinwand gesehen hat, denkt leicht, so ein Gerichtssaal sei eine große
Bühne und die Anwälte beziehungsweise Staatsanwälte agierten nicht nur mit
juristischen Tricks, sondern auch mit viel Rhetorik. Wer dann einmal ein
Strafverfahren vor einem deutschen Gericht verfolgt hat, weiß: So dramatisch
die Umstände ein können, die Strafprozessordnung macht daraus häufig eine
staubtrockene, bürokratische Angelegenheit.
Trotzdem ist es immer reizvoll, wenn ein Blick hinter die
Roben und Kulissen ermöglicht wird. Als ich sah, dass der Kölner Rechtsanwalt
Mustafa Kaplan ein Buch ("Anwalt des Bösen") geschrieben hat, das teils Autobiografie, teils eine
Vorstellung seiner größten Fälle und insbesondere die Vertretung von Stephan
Ernst im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke ist, war ich sofort interessiert.
Dies um so mehr, da ich den Prozess nahezu durchgehend
verfolgt habe und dabei auch Kaplan erstmals in einem Gerichtssaal agiert habe.
Nach der Lektüre des Buches meine ich, mein erster Eindruck von ihm ist beim
Lesen bestätigt worden: Schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein kann man ihm
wirklich nicht vorwerfen, einen Hang zur Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung
dagegen schon. Ein bißchen bösartig könnte man sagen, kein Wunder bei diesen
Faktoren: Mann, Awalt, Rheinländer. Da ist eine gewisse Selbstberliebtheit dann
schon fast vorprogrammiert.
Die Passagen des Buches, in denen Kaplan vor allem über
Kaplan schreibt, sind dann in meinen Augen auch die schwächeren. Dabei hat er
durchaus eine spannende Biografie – mit acht Jahren aus einem türkischen Dorf
nach Deutschland gekommen, hat die Schule gepackt, obwohl die Eltern in keiner
Weise helfen konnten, Jurastudium als einer der ganz wenigen Migranten – damals
jedenfalls – er hat sich durchschnittlich durchgeboxt, inklusive kurze
Abstecher in eine Kölner Jugendgang.
Doch während Kaplan wiederholt versichert, es gehe ihm gar
nicht um die eigene Person oder sein Privatleben auszuwalzen, passiert gerade
dies immer wieder. Und auch bei der Schilderung der öffentlichen Reaktionen auf
seine Fälle, sei es auf seinen Klienten Erdogan gegen Jan Böhmermann oder der
NSU-Prozess – allzu oft überhöht er sich selbst, indem er andere, vor allem,
wenn sie ihn kritisieren, klein machen. Oder er gebraucht Formulierungen wie
„diktierte ich der Reporterin der Süddeutschen Zeitung in den Notizblock.“ Wer
die betreffende Kollegin, eine der erfahrensten und kompetentesten Gerichtsreporterinnen
in Deutschland kennt, weiß: Die lässt sich ganz bestimmt nichts diktieren.
Spannender war es für mich dagegen, über die Vorbereitungen
auf den Lübcke-Prozess zu lesen, auf den Umgang mit seinem Mandanten, die
Frage, ob er als türkischstämmiger Anwalt gewissermaßen Gutwetter für einen
Rechtsextremisten machen solle, die Erwägungen und Kontroversen bei der
Verteidigung, speziell die Rolle des Co-Verteidigers, der dann mitten im
Prozess entlassen wurde und eine ziemlich schillernde Figur war. Natürlich gilt
das Anwaltsgeheimnis auch nach dem Prozess und allzu Vertrauliches würde Kaplan
sowieso nicht veröffentlichen – schon gar nicht während der laufenden
Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof.
Dennoch, diese Abschnitte des Buches haben meine Erwartungen
erfüllt, zumindest ansatzweise eine neue Sicht auf das Verfahren zu erhalten,
ebenso wie Einblicke in die Arbeit eines Strafverteidigers. Wenn Kaplan sich
darauf beschränkt und die Selbstdarstellung komprimiert hätte, wäre es ein
richtig gutes Buch geworden, so konnte ich es
nur mit ein paar Abstrichen genießen.
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