Flucht , Exil und Suche nach Heimatgefühlen

 Schon in der Grundschule hat Dafer, der aus einer schiitischen Familie im Südirak stammt, gelernt, wie weit das Regime von Saddam Hussein und seiner Baath-Partei reichen - etwa als ein Junge wegen einer Bemerkung erst aus der Schule geholt wurde und dann wenige Wochen später ganz verschwand. Und obwohl er nicht politisch aktiv ist, ist später an der Universtität allein das Interesse des literaturbessenen jungen Mannes für Bücher, die auf einer Verbotsliste stehen, gefährlich. Kommilitonen verschwinden oder werden verhaftet. Dennoch bringt er als Doktorand ein Theaterstück zur Aufführung, das er eigentlich für harmlos hält. Bis er gewarnt wird, er müsse fliehen, sofort.

Dafer muss sich Schleusern anvertrauen, landet schließlich in der Schweiz, durchläuft das Asylverfahren, fühlt sich immer mehr als Objekt eines bürokratischen Vorgangs, Teil einer unerwünschten Verschiebemasse von Menschen, die von Platz A zu Heim B geschickt werden, in einem Zwischenzustand, der ihre Wurzel- und Heimatlosigkeit noch betont. Mit seinem Protagonisten Dafer dürfte der irakischstämmige Autor Usama Al-Shahmani in seinem Roman "Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt"  eigene Erfahrungen verarbeitet haben. Auch er musste als Nachwuchswissenschaftler aus dem Irak Saddam Husseins fliehen, auch er fand in der Schweiz einen neuen Ort. 

Auch eine neue Heimat? Dafer blickt auf der Erzählebene aus der Gegenwart, im Alter von 46 Jahren, zurück auf die Zeit seiner Flucht. In den Wäldern und Bergen der Schweiz hat er seine Ruheorte gefunden. Die Zeit der Jobs als Reinigungskraft sind vorbei, jetzt arbeitet er in einem Restaurant. Auch nicht gerade etwas, was seiner akademischen Ausbildung entspricht. Statt Bücher oder Theaterstücke zu schreiben, träumt er davon, mit einem orientalischen Gericht einen persönlichen Akzent in der italienisch-schweizerischen Restaurantküche setzen zu können. Auch so kann Integration aussehen.

Dass er vielleicht nicht in der Schweiz heimisch ist, aber auch keinesfalls mehr im Irak, macht der erste Besuch bei der Familie nach vielen Jahren deutlich. Saddam Hussein mag tot sein, aber das Leben im Irak birgt immer noch Gefahren, vor allem für einen, der aus dem Westen kommt. Nun sind es die IS-Kämpfer, vor denen sich Dafer fürchten muss. Und so emotional das Wiedersehen mit Eltern, Geschwistern und anderen Verwandten ist - er wird im Gästezimmer einquartiert, nicht in seinem alten Zimmer. Und auch sonst wird immer wieder betont, dass er ein Gast ist - und damit nicht einer, der unbedingt dazugehört.

Al-Shahmani beschreibt in dem eher schlanken Roman stärker die Gefühlswelt und die Gedanken seines Protagonisten als die Verhältnisse und Geschehnisse um ihn herum, die Märkte von Bagdad oder die Enge in den Flüchtlingsheimen werden nur angerissen. Auch die 20 Jahre, die Dafer in der Schweiz verbracht hat, bleiben blass. Es gab die Vergangenheit, es gibt das Jetzt, die Entwicklung dazwischen ist in wenigen Sätzen abgetan. Hier hätte ich gerne mehr erfahren. Vielleicht ist es aber auch so, dass trotz der Vertrautheit mit Sprache und Kultur, trotz der Beziehung zur Natur einfach noch nicht von einer Eingliederung die Rede sein kann. Dafer bleibt ein Heimatloser.

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