Schauspieler-Biografie als Abrechnung mit Hollywood und Queerfeindlichkeit

Für ungeschönte Ehrlichkeit verdient Elliott Page sicherlich fünf Punkte. Es kann nicht einfach sein, das eigene Innerste und den langen und schmerzhaften Weg zur eigenen Identität so auszubreiten, gerade auch in dem Wissen um Feindseligkeit und Vorurteile, die Transmenschen entgegenschlagen, und die er selbst erfahren hat. Die Geschichte ist ja bekannt: In sehr jungen Jahren Hollywood-Ruhm unter damals noch anderem Namen und Geschlecht, bekannt als Ally für die queere community, dann die Erklärung, selbst queer zu sein (hat eher wenig überrascht), schließlich das Coming Out als trans und den Weg zu dem Körper und der Identität, die er eigentlich schon als Vierjähriger haben wollte.

So ein Seelenstriptease kann nicht einfach sein, auch nicht für jemanden, der schon als Kind vor Kameras agiert hat. Und Page schildert ja auch, wie dramatisch das Ringen war: Essstörungen, Selbstverletzungen. Tränenmeere bei den Therapiesitzungen. Das Korsett der Hollywood-PR, die ihn - angefangen von Kostümen - in ein Bild stecken wollte, in dem er sich absolut nicht wieder erkannte. Sich da zu behaupten, dürfte gerade für einen sehr jungen Menschen eine enorme Last sein, das wird beim Lesen dieses Buches spürbar.

Andererseits: Page wurde zu einer Zeit berühmt, als Queerness in Hollywood  doch eigentlich schon fast in wurde. Kein Vergleich zu, sagen wir, den 50-er oder 60-er Jahren, als die Homosexualität etwa von Rock Hudson auf gar keinen Fall öffentlich bekannt werden durfte. Mittlerweile liebäugelt doch ständig in Klatsch- und Promiformaten zumindest mit ein bißchen Bi-Erfahrung.  Mal ganz abgesehen davon, dass auch ohne offizielles Coming Out die queere Identität so manches bekannten Menschen aus Film, Fernsehen oder sonstigem Show-Biz allgemein bekannt und von den meisten als selbstverständlich akzeptiert ist. 

Beim Lesen des Buches scheint es manchmal so, als hätte es Jahrzehnte des politischen und gesellschaftlichen Kampfes der LGBTQI-Bewegung nicht gegeben, so verunsichert stolpert Page durch Fragen, die er selbst doch vor sich selbst am allerbesten beantworten könnte, wenn er etwa wiederholt Freund*innen fragt: Glaubst du, dass ich vielleicht trans bin? Da entsteht dann für mich eine Diskrepanz zu Feststellungen wie: Ich wusste schon mit vier Jahren, dass ich ein Junge bin.

Ich will die Probleme und die Herausforderungen gar nicht in Abrede stellen, die für einen in der Öffentlichkeit stehenden jungen Menschen bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit entstehen, umso mehr, wenn das zum Bruch mit allem führen muss, was er früher machte und was seine Karriere definierte. Aber ab und an frage ich mich dann doch, ob Page hier nicht ein bißchen sehr auf Melodrama setzt.  Auch die Schilderungen der Probleme als Scheidungskind zwischen zwei Familien und einige andere Darstellungen gescheiterter Beziehungen beziehungsweise von Commitment-Problemen wecken in mir den Eindruck, dass da einfach die eine oder andere therapeutische Baustelle  vorhanden ist, die mit dem Thema trans überhaupt nichts zu tun hat.

Sei´s drum - die Ehrlichkeit verdient Anerkennung, die Auseinandersetzung und Abrechnung mit Queerfeindlichkeit in der Gesellschaft Respekt. Elliott Page ist zu wünschen, dass er zu sich gefunden hat und sein Leben endlich genießen kann. Das Selbstbewusstsein, dass er auf dem Titelbild ausstrahlt, deutet immerhin auf einen Mann hin, der angekommen ist.

Elliott Page, Pageboy

S. Fischer Vetrlag 2023

336 Seiten, 24 Euro

9783103975000

 


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