Der Sheriff von Raufarhövn und der alte Spion

  Vor drei Jahren hat Joachim B. Schmidt mit seiner Romanfigur "Kalmann" und dem gleichnamigen Buch einen ganz besonderen Protagonisten geschaffen - und irgendwie auch ein Plädoyer für Akzeptanz und Inklusion. Denn Kalmann Odinsson, der selbst ernannte Sheriff von Raufarhövn, hat zwar immer wieder mal "Watte im Kopf", ist aber voll in das Dörfchen am Polarkreis integriert und selbstverständlicher Teil der Dorfgesellschaft. Nur alleine mit dem Boot unterwegs sein und Haie jagen, das darf er nicht mehr. Doch der reine Tor aus Island hat den Kopf voll mit ganz anderem Kummer, um die Jagd groß zu vermissen im Nachfolgeband "Kalmann und der schlafende Berg": Odin, sein geliebter Großvater ist gestorben, und auch wenn er am Ende schwer dement war und Kalmann nicht mehr erkannte, trauert der tief um den geliebten Opa, der am Ende damit überraschte, dass er auf einmal Russisch sprach.

Vielleicht ist es also eine gute Sache, dass Kalmanns leiblicher Vater, zu dem er bis dahin nie Kontakt hatte, den jungen Mann zu sich in die USA einlädt. Dabei ergeht es Kalmann, der mich immer an einen isländischen Forrest Gump erinnert, ähnlich wie der Filmfigur: Er findet sich nämlich plötzlich an einem historischen Schauplatz wieder. Denn seine bislang unbekannte besteht aus schießwütigen Rednecks und erzkonservativen Anhängern eines gewissen orangehaarigen US-Präsidenten. Und so befindet sich Kalmann an einem politisch aufgeheizten Januartag plötzlich vor dem Capitol in Washington - und kurz darauf in FBI-Gewahrsam.

Dank einer empathischen FBI-Agentin kommt Kalmann allerdings recht schnell frei und zurück nach Island, wo er sich plötzlich mit der amerikanischen Vergangenheit am Polarkreis befassen muss: Sein Online-Freund Noi überzeugt ihn, dass sein Großvater ermordet worden sein müsse. Nur die Gespinste eines Nerds? Als der Sheriff von Raufarhövn mit seinen Nachforschungen beginnt, stößt er auf allerlei Ungereimtheiten, viele Fragen - und einen weiteren Todesfall.

Nach und nach wird ihm klar, dass sein Großvater so manches Geheimnis bewahrt hatte und im Kalten Krieg Kommunist gewesen war. Womöglich auch ein Spion für die Sowjets? Oder warum hat er seine kleinen Töchter immer auf Ausflüge zu ausgerechnet jenem Berg geschleppt, auf dem sich eine amerikanische Radarstation befand? Und warum sind die Mädchen auf diesen Ausflugsbildern stets so unscharfe Randfiguren? Klar, dass Kalmann nun jeden Stein und Eisbrocken umdrehen muss!

Auch wenn die Erzählweise eher gemächlich ist, eben ganz wie die Denkprozesse von Ich-Erzähler Kalmann, entwickelt das Buch einen Spannungsbogen und am Ende ziemliche Dramatik. Mit der Figur des Kalmann überzeugt der Autor erneut und bettet seinen sympathischen Antihelden diesmal in ein zeitgeschichtliches Setting ein. Ich hoffe, das war nicht das Letzte, was ich zu Kalmann Odinsson gelesen habe - diese Figur hat Potential!


Joachim B. Schmidt, Kalmann und der schlafende Berg

Diogenes 2023

 304 Seiten, 24 Euro

9783257072662

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