Gerichts-Allerlei von der Zuschauertribüne

Dass es durchaus glücken kann, wenn Literaten oder Philosophen Zeugen und Dokumentare harter Wirklichkeit oder spektakulärer Prozesse werden, hat "V13" über den Bataclan-Prozess gezeigt. Die Perspektive eines Außenseiters, der nicht professioneller Zeuge oder Beteiligter von Gerichtsverfahren hat, kann ein frisches Element hereinbringen, ist zudem nicht an die tagesaktuelle Berichterstattung gefesselt. Mit "Laufendes Verfahren" hat sich die österreichische Autorin Kathrin Röggla den Münchener NSU-Prozess vorgenommen und damit das bisher längste Staatsschutzverfahren der bundesdeutschen Geschichte, zudem über eine Terrorserie, die auch für ein Versagen - und rassistische Augenblenden - bei Polizei und Verfassungsschutz stehen. Da könnte doch eigentlich nichts schiefgehen?

Kann es aber doch. Zwar wurde Röggla für dieses Buch für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert. Und sprachlich-stilistisch, als Dauerwortspiel und Verwendungsmarathon des Futur 2 mag das ja auch seine Berechtigung haben. Dennoch, mir wäre weniger selbstverliebtes doch letztlich beliebiges Sprachspiel lieber gewesen zugunsten eines tieferen Einblicks in genau die Perspektive, die die Autorin hier wählt: Den Blick von der Zuschauertribüne auf den Prozess, von Menschen, die teils aus Neugier, teils aus Aktivismus, sogar - die bleiben hier allerdings nur bedrohliche Schatten, die das Licht wegnehmen - aus Sympathie mit den Angeklagten.

Es geht um das "Wir", ein Kollektiv von Stimmen, die sich auf der linken Seite der Tribüne versammelt haben - die rechte ist den professionellen Beobachtern, den Gerichtsreportern, vorbehalten, zu denen sich zumindest der "Bloggerklaus" in Konkurrenz sieht, weshalb er gerne auch mal deren Plätze in Beschlag zu nehmen versucht. 

Hätte ein reizvoller Ansatz sein können, aber das kollektive Wir bleibt einerseits vage und andererseits stereoptyp. Es gibt Endlossätze und Wortkaskaden, die der Annäherung an das Thema selbst nicht helfen und auf mich eher wie selbstverliebt-manierierte künstlerische Ausdrucksweise wirkt. Durchaus wichtige Fragen werden aufgeworfen - der Alltagsrassissmus etwa, die Fehler bei den Ermittlungen, die zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes, die gesperrten und geschredderten Akten. All das ist zwar schon häufig beschrieben und diskutiert worden, hier wird es mit dem einen oder anderen Monolog verwoben, ohne zum geschärften Blick zu geraten. 

Das gilt auch für die eigentlichen Protagonisten des Verfahren, die alle merkwürdig blass bleiben. Hier geht es eher um die innere Nabelschauer des gesichtslosen Kollektivs auf der Tribüne als um Täter und Opfer, Hinterbliebene und die Akteure des gerichtlichen Verfahrens. Die Rolle der Szeneanwälte wird zwar kurz beleuchtet, die Stimmen der Nebenklage dagegen bleiben beinahe stumm. Die Höhepunkte des Prozesses, wichtige Zeugenaussagen, Plädoyers und Urteil, all das geht in einem Wortstaccato unter. Sicher hatte Röggla von Anfang an nicht vor, eine Gerichtsreportage zu schreiben. Der Klappentext-Versprechung, dies sei ein   "Buch über die aktive Teilhabe all der Menschen, die das Gericht zu einem lebendigen Ort der Demokratie machen."

ein wird sie hier jedoch nicht gerecht.

Kathrin Röggla, Laufendes Verfahren

Fischer Verlage 2023

208 Seiten, 24 Euro

978-3-10-397155-2

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