Fremdheitserfahrungen, Außenseiter und kleine Freuden voller Poesie

 Eigentlich gehören Kurzgeschichten nicht zu meiner Lieblings-Literaturgattung. Ich mag es lieber, wenn eine Handlung viel Raum zur Entfaltung hat. In Fall von Fatou Diomes "Was es braucht, das Leben zu lieben" bin ich allerdings sehr froh, diese Sammlung von Kurzgeschichten der im Senegal geborenen französischen Autorin gelesen zu haben. Diome schreibt in einer ebenso klaren wie poetischen Sprache, ihre Erzählungen mögen kurz sein, beobachten aber sehr genau und zeichnen komplexe Charaktere und Gedankengänge. Mal geht es um Außenseiter in ihrem Wohnort Strassburg, mal wird der Bogen nach Afrika geschlagen, zu dem harten und einfachen Leben der Menschen auf einer der Inseln im Saloum. 

Die afrikanische Diasporaerfahrung wird thematisiert, aber zugleich plädiert Diome leidenschaftlich für die Globalität von Kunst und Literatur und erteilt damit jenen eine Absage, die der Meinung sind, für eine bestimmte Sichtweise könnten nur Menschen einer bestimmten Herkunft ihre Stimme erheben. So löst denn auch Hemingways "Der alte Mann und das Meer" bei der Erzählerin eine Erinnerung an den Großvater, einen senegalesischen Fischer aus: Es gibt Erfahrungen, die transzendieren Raum und Zeit.

Vor allem prägt ein humanistisches Welt- und Wunschbild diese Geschichten über Helden des Alltags, über Ängste, über Weggehen und Ankommen. Diomes Sprache macht diese Kurzgeschichten zu beeindruckenden kleinen Juwelen. Auch wenn ich gerne Romane lese - diese Kurzgeschichten sind der Beweis: Size (oder in diesem Fall wohl eher length) does not matter.


Fatou Diome: Was es braucht, das Leben zu lieben

Diogenes 2023

256 Seiten, 24 Euro

9783257072488

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