(Teil-)Porträt einer Generation

 Nicht nur in Gesprächen mit Millenials kommt der Eindruck auf "Boomer" ist nicht schmeichelhaft gemeint. Ein Clash zwischen den Generationen ist zwar nicht ganz neu, aber irgendwie scheint es mitunter, als seien Boomer an allem Übel der Welt schuld, vor allem dem Klimawandel und der Umweltzerstörung. Als seien Nazi-Großeltern allemal leichter zu vergeben als Boomer-Eltern. Als handele es sich um arbeitsbesessene Materialisten, für die Work-Life-Balance ein Fremdwort ist. Und die von aller Wokeness ohnehin unerreicht sind.

Mit "Abschied von den Boomern" hat Heinz Bude nun als Betroffener ein Porträt einer Generation erstellt, die aufgewachsen ist mit dem Kalten Krieg und dem Gleichgewicht des Schreckens, mit Friedens- und Umweltbewegung (Ja, liebe F4F-Generation, es gab da schon vor 50 Jahren was... ich sage nur Gorleben, Brokdorf, AkW-Nee und Republik Freies Wendland!), mit AIDS vor ARV-Medikamenten und Tschernobyl in der damals noch sowjetischen Ukraine.

Beim Lesen wird allerdings auch klar - selbst innerhalb einer Generation unterscheiden sich die Perspektiven, gerade auch in den geburtenstarken Jahrgängen der Jahre 1955 bis 1970. Denn Bude bezeichnet sich als früher Boomer. Seine Eltern haben den Nationalsozialismus noch bewusst erlebt, er kannte als Kind noch Trümmergrundstücke. 

Die Erfahrung, dass es vom eigenen Jahrgang irgendwie immer viel zu viele gab, um Beachtung zu finden, machte auch er schon. Aber wie es den späten Boomern ging, davon ist gar nicht die Rede - dass die Schulklassen stets überfüllt waren und es trotzdem keine zusätzlichen Lehrer gab, weil ja der Pillenknick absehbar war. Und das nach dem Schulabschluss "no future" kein philosophisches Prinzip war, sondern die frustrierende Erkenntnis, dass die älteren Boomer, die Ausbildung und Uni zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen hatten, gute Jobs auf Jahrzehnte besetzt halten wurden. 

Die den Boomern nachgesagte Arbeitswut entsprach nicht der hohen Motivation oder dem Desinteresse an work-life-Balance oder sabbathicals, sondern dem oft gehörten Satz - Wenn du den Job nicht willst, draußen auf der Straße stehen hunderte, die ihn verzweifelt wollen. Das kann sich eine Generation, die in Zeiten des Auszubildentenmangels hofiert wird wie keine vor ihnen und tatsächlich Bedingungen zu einem ihr genehmen Arbeitsplatz stellen kann, wohl kaum vorstellen. Und auch bei Bude kommt diese für meine Boomer-Generation sehr prägende Erfahrung kaum vor.

Vermutlich nur historisch ist für jüngere Leser, die sich mit dem Phänomen Boomer auseinandersetzen wollen, die ständige Nähe einer Apokalypse. Der Klimawandel ist zwar auch schrecklich, hat aber eine langfristige Perspektive. Die Pershing Missiles und SS 20-Raketen in den amerikanischen und sowjetischen Raketendepots in der Bundesrepublik und der damaligen DDR dagegen waren eine Realität, die die Angst vor dem großen Knall schürte. 

Auch wenn das Buch nur ein Teilporträt der Boomergeneration ist, war das Lesen doch ein Trip down memory lane. Noch ein Unterschied zur Generation des Autors: Während sein Jahrgang frühzeitig als silver ager  das Leben im Ruhestand genießen kann, ist für meine Boomergeneration weder die Rente absehbar sicher noch absehbar, ob die Lebensarbeitszeit über das 67. Lebensjahr nicht doch noch weiter hinausgeschoben wird. Für Boomer und andere Generationen dennoch eine insgesamt interessante Lektüre.

Heinz Bude, Abschied von den Boomern

Hanser 2024

144 Seiten,  22,70 Euro

9783446279865


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