Wir alle sind Mischlinge - was die Gene verraten

 Vor ein paar Jahren waren Gentests zur Untersuchung der eigenen Vorfahrengeschichte Partythema. Die meisten von uns haben ja über die Urgroßeltern hinaus nur ein äußerst vages Wissen von ihren Vorfahren - und wer weiß, vielleicht zeigt die DNA-Analyse ja unerwartete Herkunftsregionen? Mit seinem Buch "Die große Odyssee" zeigt der Biologe Lluis Quintana-Murci, wie sich die Menschheit im Laufe der Jahrtausende über die Erde verbreitet hat.

Sein Buch ist teilweise sehr wissenschaftlich mit zahlreichen Fachbegriffen, was es für nicht-Experten nicht ganz so leicht lesbar macht, aber faszinierend ist es dennoch. Die wenig überraschende Aussage: "Wir alle sind Mischlinge" (und stammen ursprünglich aus Afrika, wo bekanntlich die ältessten Funde von Hominiden, also den Vorfahren der modernen Menschen, gefunden wurden. Und auch der Homo Sapiens trat von hier zu seiner Wanderung an.

Diejenigen, die "völkischem" Denken zugetan sind, müssen nach der Lektüre der menschlichen Odyssee schwer gefrustet sein, sind es doch die heutigen Afrikaner, die in ihrem Erbgut ganz Homo Sapiens sind. Bei allen anderen stecken in den Genen noch, je nach geografischem Herkunftsort, noch Spuren des Neandertalers oder des Denisov-Menschen. Deren Gene verschafften den Nachkommen mit Homo Sapiens nämlich einige Vorteile, etwa Widerstand gegen manche Infekte in der neuen Umgebung oder Anpassungen an ein anderes Klima - in modernen Zeiten dagegen ist es dieses Erbe, das eine höhere Anfälligkeit für Nikotinsucht und Herzinfarkt bescheren könnte.

Überhaupt, die Zusammenhänge zwischen Genmutationen in bestimmten Populationen und medizinischen Vor- und Nachteilen ist ausgesprochen spannend. Die Sichelzellenanämie etwa, die fast ausschließlich bei Menschen mit rein "afrikanischen" Genen auftritt, beruht auf einer Mutation, die gleichzeitig Schutz vor einer Malariaerkrankung bietet. Auch bei der Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs während der Corona-Pandemie gab es Unterschiede bei den weltweiten Populationen.

Auch wenn es früher schon Völkerwanderungen gab, dürfte angesichts der leichteren Mobilität unserer Zeit und einer global vernetzten (und sich entsprechend verpartnernden) Bevölkerung der genetische Cocktail der Weltbevölkerung noch einmal spannend werden - aber die Rückschlüsse darauf müssen wohl auf künftige Wissenschaftlergenerationen warten, denn im Laufe der Evolution sind ein paar Dutzend Jahre schließlich gar nichts. Und auch heute gibt es noch viele Lücken, vor allem außerhalb europäischer Bevölkerungsgruppen. Denn da war die Forschung bisher reichlich eurozentrisch. Spannend auch, dass selbst die Untersuchung von DNA aus alten Gräbern erstaunliche Rückschlüsse zur Geschichte der Menschheit und ihrer Wanderbewegungen zulässt. Kurzum, ein interessantes Sachbuch, dem ein bißchen mehr Allgemeinverständlichkeit für Nicht-Biologen dennoch gut getan hätte.


Lluis Quintana-Murci, Die große Odyssee. Wie sich die Menschheit über die Erde verbreitet hat

C. H. Beck 2024

288 Seiten, 28 Euro

  9783406814297

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