Coming of Age und Coming Out

 In seinem Coming of Age-Roman "Wünschen" schildert der nigerianische Autor Chukwuebuka Ibeh die Entwicklung eines jungen Mannes aus einer Igbo-Familie in Port Harcourt, der mit dem Erkennen seiner Homosexualität auch ein Leben voller Angst, Repression und Versteckspielens erlebt. Dass Obiefuna ganz anders als sein jüngerer, aber dominanter Bruder ist, ist allen in der Familie früh klar. Obiefuna ist beim Fußballspielen ein Versager, aber ein guter Tänzer. Doch je älter er wird, desto mehr stört sich sein Vater daran, wenn Obiefuna Tanzschritte probt. Was für ein Kind noch in Ordnung war, schickt sich für einen jungen Mann nicht mehr.

Homosexualität ist in Nigeria, ähnlich wie in den meisten Staaten Afrikas, illegal. Eine Aufklärung über sexuelle Identitäten etwa in der Schule gibt es nicht. Auch Obiefuna kann anfangs seine Gefühle noch nicht benennen, doch zum Lehrling seines Vaters, eines Händlers, fühlt er sich hingezogen. Es passiert eigentlich gar nichts zwischen den beiden Jungen - doch die Blicke zwischen ihnen reichen dem Vater, um seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.

Obiefuna wird Hals über Kopf in ein strenges christliches Internat verfrachtet. Mobbing durch ältere Schüler ist an der Tagesordnung, ein System, das auf Erniedrigung und Schikanen basiert. Obiefuna erlebt Einsamkeit, aber auch enge Freundschaften in der reinen Jungenschule. Und, vermutlich nicht überraschend - er macht sexuelle Erfahrungen mit anderen Jungen. Dabei ist ihm aber auch klar - er darf sich nicht erwischen lassen. Zwar ist ein Mitschüler offen schwul, doch Obiefuna öffnet sich auch ihm gegenüber nicht, sieht er doch, wie der Junge Verachtung und Ausgrenzung erfährt.

Wie leben? Die Frage wird Obiefuna auch nach der Schule beschäftigen, zwischen Anpassung und der Sehnsucht nach queerem Leben. In der Beziehung mit einem älteren Mann scheint Obiefuna, mittlerweile Medizinstudent, am Ziel seiner Sehnsüchte angekommen zu sein. Doch neue verschärfte Gesetze und eine von der Regierung gesteuerte Schwulenjagd, die Erfahrung von Erpressungen und Misshandlungen im Bekanntenkreis zeigen ihm auch die Risiken auf, wenn er es wagt, anders zu lieben als die Bevölkerungsmehrheit.

"Wünschen" ist kein Buch mit happy end, vieles bleibt letztlich offen. Der Autor zeigt nachdrücklich, wie schwer es queere Menschen in afrikanischen Ländern haben, ohne Obiefunas mitunter opportunistisches Verhalten zu verurteilen. Zugleich werden die religiösen und ethnischen Spannungen im bevölkerungsreichsten Land Afrikas gestreift. "Wünschen" ist ein sensibler Coming of Age-Roman mit einer Portion Gesellschaftskritik.


Chukwuebuka Ibeh, Wünschen

S. Fischer 2024

320 Seiten, 24 Euro

9783103975987

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