Täter und Opfer, Moral und Oppression

 Auf den ersten Blick mag "Anständige Leute" von Leonardo Padura ein Doppel-Kriminalroman auf Kuba sein, geht es doch um mehrere Morde. Doch das ist nur die Oberfläche, darunter geht es um Geschichte und Gegenwart der Insel, um Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Anpassung, Opportunismus und Gier. 

Mit Mario Conde hat Padura zudem einen Protagonisten mit Rückgrat und moralischem Kompass geschaffen: Vor vielen Jahren quittierte er den Dienst bei der Polizei aus Loyalität zu seinem Vorgesetzten, lebt nun mehr schlecht als recht von An- und Verkauf von Büchern, ist sowohl Ermittler als auch Schöngeist, der die Verfolgung von Künstlern miterlebt hat, die nicht in den sozialistischen Rahmen passten. Conde hasst die Funktionäre, die aus politischem Opportunismus Existenzen vernichteten, er hat Freunde ans Exil verloren und nun, mit über 60, fragt er sich manchmal, ob er irgendwann der übrig Gebliebene sein wird.

Dabei tun sich gerade große Dinge auf der Zuckerinsel: Obama hat sich zum Besuch angesagt, die Rolling Stones geben ein Konzert, überall in Havanna sind die Leute auf der Jagd nach den Dollars der US-Besucher. Und Conde wird von einem überlastetem Ex-Kollegen (der Obama-Besuch!) als eine Art ehrenamtlicher Ermittler herbeigezogen, um den Mord an einem früheren Kulturfunktionär aufzuklären.

Conde hat das Mordopfer verabscheut, doch er sucht dennoch nach der Wahrheit. Schnell ahnt er, vergangenes Unrecht spielt eine Rolle. Wer ist da Täter, wer ist Opfer?

In einem weiteren Handlungsstrang geht es um einen jungen Polizisten im Kuba des Jahres 1910, der gegen den Wunsch seines Vorgesetzten versucht, zwei grausame Morde an Prostituierten aufzuklären und sich mit Alberto Yarini anfreundet, Sohn einer begüterten Ärztefamilie, Zuhälter und König des Nachtlebens mit politischen Ambitionen. Yarini ist eine schillernde Gestalt, das Kuba seiner Zeit ist ein bißchen wie die kubanische Antwort auf das Berlin der 20-er Jahre.

Conde ist auf die Lebenserinnerungen des Polizisten gestoßen, der sich ebenfalls die Fragen nach Freundschaft und Moral, Korruption und Gangsterloyalität stellen muss. Dieses Kuba der Vergangenheit ist ein ganz anderes als das gegenwärtige, in dem zwar schwache Hoffnungen auf Karibik-Glasnost aufkommen, Skeptiker wie Conde aber nicht zu hoffen wagen. "Die Vergangenheit lässt sich nicht auslöschen, und die Geschichte geht nie zu Ende", heißt es in einem Satz des Buches,  und das gilt für beide Handlungsebenen des Romans. Auch Conde findet seine Lösung erst, als er sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt.

Eher nachdenklich als bitter, voller Lebenslust und Resignation, pointiert und farbenfroh zieht Padura mit seinem Roman die Leser*innen in das alte wie das neue Kuba, jenseits von Pastellfarben und Salsa.


Leonardo Padura, Anständige Leute

Unionsverlag 2024

400 Seiten, 26 Eur0

9783293006218


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