Rückblicke der Kanzlerin
"Das gibt´s nur einmal" ging mir beim Lesen von Angela Merkels Autobiografie "Freiheit" durch den Kopf - nicht nur, weil sie als erste Frau überhaupt Bundeskanzlerin wurde, sondern eben auch als erste Ostdeutsche. Und es ist schon mit Blick auf die Demografie in den Politikerjahrgängen nicht zu erwarten, dass Deutschland noch einmal von einem Politiker oder einer Politikerin regiert wird mit einer Geschichte in beiden deutschen Staaten.
Ich war gespannt: Wo würde Angela Merkel das Bedürfnis haben, sich zu erklären, vielleicht auch zu rechtfertigen für Entscheidungen? Welche Weltpolitiker oder Personen deutscher Politik würden eine Rolle spielen? Würde die Frau, die in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend gewirkt hatte, hier Persönliches zeigen?
Beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, gewissermaßen als Soundtrack die Stimme der Ex-Kanzlerin zu hören - ein bißchen trocken, eher unaufgeregt, wie sie halt so klang in Statements und Bundestagsreden. Da wurden einstige Rivalen auch in den eigenen Reihen noch mal unspektakulär aber überzeugend abgewatscht, wird nüchterne Bestandsaufnahme gezogen und, das dann doch eher unerwartet, die "innere Freude" über die Arbeit heraufbeschworen.
Für mich war vor allem der Abschnitt über die ersten 35 Jahre im Leben der Angela Merkel interessant, vor ihrem Weg in die Politik, als Pastorentochter in der DDR, zwischen Pionieren und Kirchenchor gewissermaßen. Und irgendwie war es nicht besonders überraschend, dass Fleiss und Disziplin auch am 9. November 1989 für die junge Physikerin der Akademie der Wissenschaften galt: Erst wie gewohnt mit einer Freundin in die Sauna, anschließend nach einem Bierchen rüber nach West-Berlin. Aber ohne ausuferndes Feiern - Dr. Merkel musste schließlich noch an einem Vortrag für die Uni Torun arbeiten.
Und natürlich, die schon fast vergessene Zeit, als die politische Entwicklung in der DDR noch in den Händen der Oppositionellen war, als noch nicht importierte Politiker aus dem Westen Karrierechancen witterten, als es zumindest ein paar Wochen lang möglich schien, dass hier der Anfang von etwas ganz Neuem liegen könnte.
Aus dem späteren Leben der Politikern Angela Merkel, ihrem Aufstieg in der CDU und ihrer Kanzlerschaft ist natürlich mehr bekannt, interessant war es trotzdem zu lesen, war in dem Buch Erwähnung fand und was eben nicht. Etwa die unseligen Debatten, die einmal über Kleidungsstil und Frisur der CDU-Chefin geführt wurden, Debatten, von denen männliche Politiker unbehelligt bleiben. Die Abrechnung mit innerparteilichen Rivalen - geradezu hanseatisch knapp und zurückhaltend.
Ob Putin oder Trump, Merkel schildert eher nüchtern-distanziert die Erlebnisse auf dem internationalen diplomatischen Parkett. Gelegentlich schimmern persönliche Freundschaften durch, Wertschätzung und Vertrauen, etwa zur langjährigen Bürochefin Beate Baumann, die auch Ko-Autorin des Buches ist. In ihrem Buch zeigt sich Merkel über weite Strecken so, wie man sie auch als Kanzlerin wahrgenommen hat: Pragmatisch und unprätentiös, mit Machtbewusstsein aber ohne die demonstrative Eitelkeit manches männlichen Kollegen.
Angela Merkel, Beate Baumann, Freiheit
Kiepenheuer & Witsch 2024
736 SEiten, 42 Euro
9783462005134
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