Ukrainisches Kriegstagebuch
Die Waffe von Schriftstellern sind Worte. Auch der ukrainische russischsprachige Schriftsteller Andrej Kurkow versucht mit seinem Kriegstagebuch "Im täglichen Krieg" auf diese Weise aufzurütteln, Aufmerksamkeit für die Lage in seinem Land zu wecken, damit die Weltöffentlichkeit sich nicht irgendwann an den Status quo gewöhnt und zur Tagesordnung übergeht. Schreiben heißt erinnern - an den russischen Angriffskrieg, an die Massaker und Kriegsverbrechen, an die Leugnung und Unterdrückung ukrainischer Identität, die Zwangsrussifizierung in den besetzten Gebieten.
Vor Jahren las ich Kurkows wunderbares Buch "Graue Bienen" über einen alten Imker im Donbas - der Krieg hatte aus der Sicht der Ukrainer bereits zu jener Zeit, im Jahr 2014, begonnen. In seinem Kriegstagebuch führt Kurkow seine Leser*innen durch Bombennächte und Luftschutzkeller, durch den Alltag und die Versuche, das Leben weiter zu führen, die Militarisierung und Mobilisierung auf beiden Seiten. Dabei gibt es kein "Right or wrong, my country" - Kurkow geht kritisch mit Zwangsmobilisierungen ins Gericht, die eher an Razzien erinnern, mit Korruption und Kriegsgewinnlern.
Kurkow fühlt sich als Ukrainer, aber seine Sprache ist Russisch. Immer wieder thematisiert er Identität, die nicht immer einfache Lage für diejenigen, die aufgrund ihrer Sprache plötzlich unter Generalverdacht geraten können, nicht ukrainisch genug sein zu können, womöglich illoyale fünfte Kolonne. Er weiß sich als privilegiert - einerseits wegen seiner Rolle als bekannter Schriftsteller, andererseits wegen seines Alters, da ihm keine Einberufung droht. Er kann sich teilweise ins Ausland zurückziehen, dort schreiben. Andere haben diese Möglichkeit nicht.
"Im täglichen Krieg" geht immer wieder auf die ukrainische Kulturszene ein, auf den Versuch, kulturelles Leben auch unter Kriegsbedingungen aufrecht zu erhalten, auf das Schicksal von Kolleginnen und Kollegen, die bei Luftangriffen und Massakern ums Leben kamen und ihren Versuch, Manuskripte zu retten für eine Zeit nach der russischen Besatzung. Kurkows Buch ist keine Kriegsreportage, sondern eine subjektive Beobachtung des Kriegsalltags weitab von der Front. Auf Pathos und allzu große Emotionen verzichtet er, doch gerade mit dieser sachlich-zurückhaltenden und doch persönlichen Darstellung überzeugt sein Buch.
Andrej Kurkow, Im täglichen Krieg
Haymon 2025
432 Seiten, 22.90 Euro
9783709982303
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