Frauenfreundschaft und -solidarität

 Mit ihrem Buch "Dream Count" hat sich die US-nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie nach längerer Pause mit einem Roman zurückgemeldet. Sie hat lange an dem Roman gearbeitet, und mit dem Schreibprozess fielen die Corona-Pandemie sowie der Tod ihres Vaters (den sie in ihrem Buch "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben" verarbeitete) und nur ein Jahr später der Tod ihrer Mutter, der sie den neuen Roman widmete.

Tatsächlich ist "Dream Count" vor allem ein Buch über die Lebensgeschichten, -träume und Freundschaften von Frauen. Wobei die Mutter-Tochter-Verhältnisse, die darin beschrieben werden, teils innig, teils durchaus ambivalent sind. Es ist auch ein Spagat zwischen den Welten in Nigeria beziehungsweise Westafrika und den USA, Adichies Wahlheimat.

Drei der Protagonistinnen entsprechen so gar nicht dem Klischee, das viele Menschen in Europa und Nordamerika von Afrikanerinnen haben: Die Reiseschriftstellerin Chiamaka, die Anwältin Zikora und die Bankerin Omelegor sind Hochschulabsolventinnen, stammen aus reichen Familien und sind ausgesprochen privilegiert aufgewachsen. Kadiatou aus Guinea, die bei der in den USA lebenden Chiamaka als Haushaltshilfe arbeitet, verkörpert das andere Afrika: Aufgewachsen auf dem Dorf, Opfer traditioneller Genitalverstümmelung, ohne Bildungschancen, im Gegensatz zu ihrer älteren, früh verstorbenen Schwester auch ohne den Mut, Chancen und Perspektiven für sich einzufordern. Doch für ihre Tochter will die alleinerziehende Mutter ein besseres Leben. Sie schafft es, als Asylbewerberin anerkannt zu werden und arbeitet neben dem Job für Chiamaka als Zimmermädchen in einem Hotel in Washington.

Ich-Erzählerin Chiamaka ist es denn auch, die die Erzählstränge und Verbindungen zwischen den Frauen zusammenfügt: Zikora ist ihre beste Freundin, Omelegor ihre Cousine. "Dream Count" beschreibt die unterschiedlichen Lebensentwürfe und -ziele der vier Frauen, die stark auch von deren ökonomischen Hintergründen abhängen - Chiamaka ist als Reiseautorin nur mäßig erfolgreich, aber aufgrund ihres reichen Elternhauses kann sie es sich leisten, nach Belieben zu reisen, ob ihre Texte eine Veröffentlichung finden oder nicht. 

Omelegor, die anders als die anderen drei Frauen weiter in Abuja lebt, hat als Bankerin Politikern und Geschäftsleuten geholfen, Reichtümer in ihre privaten Kassen umzuwidmen. Sie ist darüber reich geworden, aber auch zunehmend angeekelt von der Korruption des Landes und der Rolle, die sie dabei gespielt hat. Mit ihrer Firma "Robyn Hood" unterstützt sie Frauen, die sonst keine Chance auf die Gründung eines Kleinbetriebs bekämen. Und sie bloggt über das Thema Pornographie und wie es Männer in ihrem Frauenbild beeinflusst. Kadiatou dagegen träumt vor allem von einem besseren Leben für ihre Tochter und sieht bereits in ihrem bescheidenen Leben in den USA einen sozialen Aufstieg, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte.

Als Kadiatou Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen Hotelgast wird und den Vorfall meldet, gerät sie ungewollt in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit, muss aber auch ein Spießrutenlaufen durch Medien und eine skeptische Staatsanwaltschaft erdulden. Die Gewalt, die Kadiatou erlebt hat, rüttelt auch die anderen drei Frauen auf.

Auch wenn ein großer Teil der Romanhandlung in den USA spielt, flicht Adichie viel über Nigeria ein, sei es die ethnische und religiöse Vielfalt des Landes, die damit verbundenen Spannungen und Stereotypen, die Igbo-Kultur, aber auch innernigerianische und innerafrikanische Stereotypen und Vorurteile gegen andere Volksgruppen. Adichie schafft es, in wenigen Sätzen Farben und Gerüche heraufzubeschwören und die sozialen Unterschiede im bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Ein lebendig geschriebenes Buch über Frauen, ihre Stärke und ihre Solidarität.


Chimamanda Ngozi Adichie, Dream Count

S. Fischer 2025

496 Seiten, 28 Euro

9783103976625

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