Frauen, die die Freiheit lieben
Selten liegen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit so nah beieinander wie in "Im Herzen der Katze" von Jina Khayyer. Ich-Erzählerin Jina - wieviel Autobiografie in dem Roman steckt, bleibt unklar - sitzt vor dem Computer und verfolgt die Nachrichten aus ihrem Geburtsland Iran. Eine junge Kurdin,Jina Amini, ist von den Sicherheitskräften ins Koma geprügelt worden, nachdem sie wegen eines nicht "richtig" gebundenen Kopftuchs verhaftet worden war. Der Fall machte Schlagzeilen - auch weil Angehörige und Krankenhausmitarbeiter*innen den Mut besaßen, Bilder der sterbenden jungen Frau aus dem Iran zu verbreiten. Bilder, die die offizielle Version der Behörden über eine angeblich natürliche Todesursache als Lüge entlarvten.
Was folgte, ist Nachrichten-Geschichte: Unter dem Ruf "Jin, Jihan, Azadi!" (Frau, Leben, Freiheit) gingen tausende junge Menschen im Iran auf die Straße, vor allem Frauen und Mädchen. Sie warfen die verhassten Kopftücher weg, demonstrierten gegen das Mullah-Regime, das zwar seit Jahrzehnten jeden Dissens brutal unterdrückt, aber ganz besonders Frauen und Mädchen in ihren Entfaltungsmöglichkeiten stark einschränkte.
Jina, die Erzählerin, erinnert sich, an eine Reise vor wenigen Jahren, zu den Tanten, vor allem zu ihrer Schwester, die aus Deutschland in den Iran zurückgegangen war, dort verheiratet ist, im privaten Raum das Leben führen kann, dass ihr in der Öffentlichkeit nicht zugestanden wurde. Jinas Nichte im Teenageralter ist das zu wenig. Sie demonstriert auf den Straßen, verabredet sich über soziale Medien mit Gleichgesinnten. Die Gefahren ignoriert sie. Gegen so viele Menschen könnten auch die gefürchteten Sicherheitsdienste nichts ausrichten, sit sie überzeugt. Nach dem Motto, lieber tot als frei.
Aus ihrem eigenen Erleben hat Jina - die lesbisch ist - seinerzeit einen Eindruck bekommen, welche Folgen Unangepasstheit bekommen kann. Der damalige Reiseführer, der mit ihr und ihrer Schwester unterwegs war, entpuppte sich als queere Frau, möglicherweise auch gender-fluid. Jina wollte das Interesse, das sie entwickelte, nicht mehr verbergen, allen Warnungen ihrer Schwester zum Trotz. Die aufkommende Romanze, soviel sei verraten, hatte kein Happy End.
Und im Rückblick auf die Proteste unter dem Ruf "Jin, Jihan, Azadi" ist auch bekannt - sie wurden brutal niedergeschlagen. Verhaftungen, Folter, Hinrichtungen waren die Antwort der Mullahs und ihrer Schergen. Tod oder Freiheit? Die Menschen im Iran, die sich ein anderes Leben wünachen und nicht anpassen wollen, sind bis heute nicht frei.
Die Autorin vermischt das Private mit dem Öffentlichen, die Wärme der Familie und der Menschen, denen Jina begegnet, mit der Härte des Regimes. Das Heimweh mit dem Wunsch, ohne Lügen und Versteckspiel leben zu können. Das Ende bleibt offen - aus Deutschland soll Jina ihrer Nichte und deren Freund*innen helfen, Bilder der Proteste im Westen zu verbreiten. Welche Konsequenzen das für die Jugendlichen hat, wird nicht bekannt. Ein Buch, das beeindruckt und nachhallt.
Jina Khayyer, Im Herzen der Katze
Suhrkamp 2025
253 Seiten, 25 Euro
9783518432488
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