Innenansichten auf den Krieg - ein Familienporträt aus Israel

 Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur. Was hat der Terrorangriff der Hamas mit den Israelis gemacht, auch denen, die nicht unmittelbar getroffen? Wie haben sich Werteachsen und Einstellungen verschoben? In ihrem Buch "Israel" geht Sabine Adler diesen Fragen anhand einer Familie nach. Die älteren tragen die Erfahrung des Holocausts beziehungsweise der Belastungen der zweiten Generation mit sich, die jüngeren sind mit dem Nahostkonflikt aufgewachsen, haben ihren Armeedienst teilweise im Westjordanland oder im Libanon geleistet. 

Die weitverzweigte Familie, die die Autorin seit Jahren kennt, ist überwiegend religiös-zionistisch, es gibt einen streng orthodoxen Bruder, aber auch einen säkularen. Die meisten leben in Jerusalem, mehrere in Siedlungen im Westjordanland, einige haben Kindheitserinnerungen an die aufgegebenen Siedlungen in Gaza. Es sind eher nicht die Israelis, die sich jede Woche auf dem Geiselplatz im Stadtzentrum von Tel Aviv versammeln, auch wenn längst nicht alle Benjamin Netanjahu und seine umstrittene Justizreform unterstützen.

Adler zeigt das Politische im Persönlichen, in der Erfahrung etwa der kinderreichen Mutter, die den Haushalt alleine stemmen muss, weil ihr Mann als Reservist in Gaza ist. Der Terrorangriff hat Traumata ausgelöst und wieder wachgerufen - die Gespräche mit einer Psychoanalytikerin von Amcha, einer Organisation, die sich eigentlich vor allem um Holocaus-Überlebende kümmert und nun vor neuen Herausforderungen steht, gehören für mich zu den besonders spannenden Eindrücken des Buches.

Die Autorin spricht mit ihren Gesprächspartnern in Cafés in Tel Aviv und Jerusalem, aber auch in den Siedlungen in den besetzten Gebieten. Die Kontraste zwischen dem Leben der Siedler und den in der Region ansässigen palästinensischen Menschen werden aufgezeigt, die Gewalt radikaler Siedler und der berüchtigten Hügeljugend gestreift, aber in den Gesprächen nicht so kritisch hinterfragt, wie es meiner Meinung nach wünschenswert gewesen wäre. Aber vielleicht führt gerade das dazu, dass sich Menschen der Autorin öffnen, die sonst eher feindselig auf Journalisten reagieren, zumal Adler ja als Freundin der Familie kommt.

Es ist eine private Innensicht auf den Konflikt, die auch deutlich macht, wie schwierig die Diskussion allein innerhalb Israels ist und wie sehr der Krieg die Gesellschaft gespalten hat. Adler hört zu, beobachtet, analysiert, lässt aber ihren Gesprächspartnern Freiraum, ihre jeweilige Position und ihren Blick auf das Land zu erläutern. Und der ist so vielschichtig wie das ganze Land.


Sabine Adler, Israel

Aufbau Verlage 2025

272 Seiten, 16,99

9783841238795

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