Posts

Es werden Posts vom Juni, 2025 angezeigt.

Von Familie und Familienbetrieb

 Ach, tut es gut, einen so unaufgeregten amerikanischen Roman zu lesen wie "Samstagabend im Lakeside Supper Club" von J Ryan Stradal in einer Zeit, in der aus den USA so viele schrille Töne kommen. Wobei der Supper Club, um den es geht, in Minnesota liegt, also American Heartland, dort, wo MAGA so viel stärker ist als in den Küstenmetropolen.  Die Geschichte des Familienrestaurants und  vier Generationen seiner Betreiber zieht sich durch mehrere Jahrzehnte und spiegelt auch die sich verändernde Gesellschaft wider. Die "Mom and Pop" Lokale wie der Supper Club, die einst in so vielen Kleinstädten mit Hausmannskost Mägen füllten und sozialer Ort waren, haben die Konkurrenz der Restaurantketten und Burger-Discounter häufig nicht überlebt - auch das macht dieses Buch deutlich. Stradal erzählt ruhig, bedächtig, und zeigt eine amerikanische Realität jenseits von Wolkenkratzern und Großstadtlichtern.  Vor allem geht es um vier Frauen, deren Lebensgeschichte mit dem Supper C...

Geschichte des Sklavenhandels in einem alternativen Universum

 Eigentlich stellt Bernardine Evaristo schwarze Protagonisten in den Mittelpunkt ihrer Romane und stellt auch durchaus Genderrollen in Frage. Ihr Buch "Blondes Herz" ist da ein bißchen anders, schreibt sie doch über den kolonialen Sklavenhandel - aber in einem alternativen Universum, in dem die Versklavten weiß und die Sklavenhändler schwarz sind. Die Menschen aus dem als barbarisch und unterentwickelt angesehenem Europa, die aus der Sicht ihrer neuen Besitzer kaum mehr als Tiere sind, werden ins kulturell zweifellos überlegene Afrika verschleppt. Die Auswüchse und Brutalität der Sklaverei hingegen sind dann wieder ganz so, wie wir sie aus den Geschichtsbüchern kennen. Die Geschichte der Kohlkopfbauerntochter Doris, die heimlich Lesen und Schreiben gelernt hat, sich nicht brechen lässt und ihren Traum von Freiheit nicht aufgibt, ist fesselnd zu lesen. Trotzdem habe ich mich beim Lesen gefragt: Was will Evaristo ihren Leser*innen hier eigentlich sagen? Hält sie sie für so ober...

Schuld und Ungleichheit

 Schuld, aber auch eine Gesellschaft voller Ungleichheit steht im Mittelpunkt von "Ungebetene Gäste" von Ayelet Gundar-Goshen, deren Roman in Israel und Nigeria spielt. Im Mittelpunkt steht die junge Mutter Naomi , die ganz auf ihren kleinen Sohn Uri fixiert ist. Als sie mit Uri von einem Spaziergang zurückkommt, findet sie in ihrer Wohnung einen arabischen Handwerker vor, der dort Renovierungsarbeiten ausführt. Naomi reagiert alarmiert, auch wenn der Mann ein harmloser Familienvater zu sein scheint. Aber er ist halt Araber! In einem unbeaufsichtigtem Moment gerät Uri auf den Balkon - und schmeißt einen Hammer runter. Unglücklicherweise trifft er einen Passanten. Es ist ein Unfall, doch die Tatsache, dass das Werkzeug einem Araber gehört, sorgt für hysterische Reaktionen - es kann doch nur ein Terroranschlag gewesen sein! Naomi schweigt, statt das Missverständnis aufzuklären. Sie schweigt auch, als der Sohn des Mannes seinen Vater abholen will und auf der Straße fast von eine...

Die Stimmen des anderen Russlands

 Bei all den fürchterlichen Berichten aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gerät es oft in Vergessenheit: Es gibt auch noch ein anderes, ein besseres Russland. Es gibt sie, die Menschen mit Zivilcourage, die Täter und Opfer beim Namen nennen und nicht an die Lüge von der Spezialoperation glauben. Und unter den Mutigen und Engagierten, die sich Wahrheit und Aufklärung verschrieben haben, sind auch die Menschen der Menschenrechtsorganisation "Memorial", schon seit mehr als 30 Jahren. "Erinnern ist Widerstand" lautet der Untertitel von "Memorial" von Irina Scherbakowa, Filipp Dzyadko und Elena Zhemkova. Das Buch ist einerseits ein Porträt der Organisation und ihrer Entstehungsgeschichte in den Jahren der Perestrojka und der mit ihr verbundenen Hoffnungen, die nun so unendlich weit weg erscheinen.  Damals, im Jahr 1989,  fanden sich ehemalige Dissidenten wie Andrej Sacharov mit Vertretern der gerade entstehenden Zivilgesellschaft zusammen, um die...

Sucht, Demenz und Lügen von einer schöneren Welt

 Poetisch und intensiv ist Ocean Vuongs Außenseiter-Roman "Der Kaiser der Freude", gleichzeitig zutiefst menschlich. Sein Protagonist ist Hai, Sohn vietnamesischer Einwanderer, pillensüchtig und lebensüberdrüssig. Für seine Mutter, die in einem Nagelstudio schuftet, hat er, nachdem er bereits das College abgebrochen hat, eine schöne Lüge erfunden: Er sei zum Medizinstudium in Boston zugelassen. Statt dessen begibt er sich in freiwilligen Entzug - und wird gleich am Tag seiner Entlassung wieder rückfällig.  Als er von einer Brücke in den Fluss springen will, bringt ihn eine alte Frau am Ufer von seinem Vorhaben ab: Grazina, 82 Jahre alt, aus Litauen und dement. Hai zieht bei ihr ein, übernimmt Pflege und Medikamentenversorgung der alten Frau, die nachts immer wieder von den Schrecken ihrer Jugend im Zweiten Weltkrieg eingeholt wird. Hai schlüpft in die Rolle des amerikanischen "Sergeant Pepper", um sie durch ihre Alpträume zu bringen. Um seinen Lebensunterhalt zu ver...

Versteckte Sehnsüchte im Arbeiterkino

 Die einen suchen nur Lust und Begehren, die anderen träumen von Liebe, doch gemeinsam ist ihnen ein Leben voller Heimlichkeiten und Ängste: Die Männer, die in der chinesischen Provinzmetropole Mawai in den 1980-er Jahren ein heruntergekommenes Arbeiterkino aufsuchen. Die immergleichen Filme sind egal - wichtig ist, dass sie hier zueinander finden können - schwule Männer, die kein offenes Leben führen können. In seinem Debütroman "Cinema Love" erzählt  der amerikanische Autor Jiaming Tang auf berührende Weise von versteckten Sehnsüchten, Scham, Hoffnung und Verlust. Ehe der Bauernsohn Old Second im Arbeiterkino seine große Liebe Shun-Er kennenlernt, liegen Gewalt und Demütigung hinter ihm. Seine erste Beziehung zu einem jungen Mann endete mit dem Verlust seiner Familie, die ihn nicht akzeptieren wollte als "Sissy". Doch das heimliche Glück im Kino endet tragisch, als Shun-Ers Ehefrau hinter das Doppelleben ihres Mannes kommt.  "Cinema Love" wechselt Zeit- ...

Rückkehr hinter den Eisernen Vorhang

 Dafür, dass Nick Harkaway 1972 geboren ist, kann er in die Welt des Kalten Krieges und der Geheimdienste sehr glaubwürdig eintauchen. Mehr noch: Sein Spionageroman "Smiley" überzeugt mit Kontinuität, sprachlich und stilistisch. Denn Smiley, das ist natürlich George Smiley, die wohl berühmteste Romanfigur von John Le Carré. Vielleicht liegt es daran, dass Harkaway gewissermaßen mit Smiley-Extrakten beim Frühstück und Mittagessen aufwuchs. Er ist der jüngste Sohn des berühmten Autors (beide benutzen ein Pseudonym) und sein Roman ist nicht nur eine Hommage an den berühmten, vor wenigen Jahren gestorbenen Vater, sondern auch eine literarische Rückkehr in die Welt des Eisernen Vorhangs, in der Smiley zu Hause war. "Smiley" spielt in den frühen 60-er Jahren, nach "Der Spion, der aus der Kälte kam" und "Dame, König, As, Spion", was für Leser*innen von Le Carrés Romanen einen besonderen Reiz ausmachen dürfte. Denn einerseits nimmt der Roman Bezug auf be...